Vier Gedichte aus „Zier-Kuss der Liebe-Laien“ (um 2020) von Falk F. Mussul

Diese vier Gedichte, die Falk F. Mussul verfasst hat, trug er beim Freitagssalon am 25. November 2022 vor und stellte sie freundlicherweise auch für das Textreservoir zur Verfügung.

Lesedauer gut fünf Minuten

Liebende, im Ersten Kuss verkalkt

Kuss-Muschel
muss kuscheln!
Blättert Sinter von ihrer Lippe;
schmettert mit opalisierenden Zähnen;
zittert schmiegsam ihre Zunge,
schliddert der Perle im Rachen entgegen
– Uvuhlala.

Kuss-Muschel
muss kuscheln.
Von Stürmen geschunden;
schließlich aus Schmutzschmatz,
beflügelt in ihrer engen Speichelumarmung,
verbunden zu einem Dreckschatz in leuchtender Tarnung;
der Täuschung vergebend, nehmen sie das Gute entgegen.

Kuss-Muschel
muss kuscheln,
wie zwei Schalen eines Tieres,
wir, ein standhafter Kalksoldat,
mit salziger Brise im Rücken
– setzt die Gaumensegel,
unseren Ufern entgegen.


Lesekuchen in Gartenkrach

Serviert wird (wie sonst auch) Lesekuchen
– der ist gluten- und laktosefrei.
Wem das nicht schmeckt,
der hat wohl Pech
– sie haben nichts anderes dabei.
Von einer Seite macht sie einen Satz
und nach hingebungsvollem Fluchen
landet in seinem Schoß sein Spatz.

Wespen sind doch echte Knurrer.
Gegnerische,
an die Tische!
Knittergewitter; faltenspalten; kragenschlagen;
hemdaufknüpfen
und vorknüpfen!
Kuchenkrümelklauer verjagen.

Die Aufrührer machen sie nur sturer.
Scheiß auf den fairen Kampf, denn
sie wollen was zu mampfen.

„Macht Herbst so müde?“,
fragt er durch den Hefezopf;
verknotet kontern die Korinthen:
„Er kommt erst nächste Woche.“
Der Knabe friemelt sie raus.

Im Kaffee strampelt eine Wespe
in ihrer gelbschwarzen Warnweste;
schwimmt sie einen Punkt.
Es schnarcht matt die Teekanne.
Der siffige Kakao
reflektiert das himmelblau schmierig schaumig.
Der Steppke stippt;
die Wespe sticht.
– – – Alles schmeckt zu süß.

Klöngel-Pling
– geschickt hat sie Geschirr geschwungen.
Sahnenase
– gewitzt hat das Gebäck getroffen.
Autsch
– sie beißt in seinen Erdbeerzinken.

Auf dem Allgemeinplatz
kneift die Plattitüde
in die Phrase.
Sie teilen ihre Worte nicht;
sie teilen ihre Zungen trotzdem
und alles schmeckt trotzdem zu süß.

Er fragt dann doch, mit einem Mund voll Mund:
„Wann fangen wir an zu lesen?“

Ritter von Onànieren

Seither schreit der Reiter,
so sei er,
o, ein er-
barmungsloser,
unaufhaltsamer Besamer
– er ist so furchtbar fruchtbar.

Dies ungestümes, des Ungetümes
Loblied,
wo die
Lenden-Legenden enden;
hängst längst Hengst
– Phallus fühlest Fall-Lust.

Immer im Zimmer
dimm er im Schimmer-Licht;
schimmel ich Schimmel, ich.

Weiter, Reiter, schreit er;
weißes herb entfährt,
weißes Pferd entehrt;
erbarmbarer,
einsamer Besamer
– er ist so: furchtlos fruchtlos.

Nähe-Nadel

Eine und keine Entwicklung
Verwirrt sind wir
nach Strich und Faden,
verworren und versponnen und verwoben;
nach Strich und Farben
strahlen wir,
von unten bis nach oben.

Weblein, leg dich zu mir,
leg dein‘ Kopf in meinen Stoff,
bin verworren in meinem Kopf,
bin versponnen in deinen Kopf,
sind verwoben in einem Stoff;

verwirr‘ mich mehr noch;
prickt und piekt und prickelt;
näher Nähe-Nadel, näher noch
– vollkommen, verwickelt.

Wunderbar. Es bleibt nur der Verweis auf Rilke.