Der Alltag von Wanderarbeitern in der Zeit der großen Depression im Amerika der 1930er-Jahre ist ausgesprochen hart und lässt wegen der häufig wechselnden Einsatzorte keine persönlichen Beziehungen zwischen den Menschen entstehen. Ausnahmen bilden in dieser Novelle Candy, der stets seinen alten Hund bei sich hat, sowie George und Lennie, die zusammen wandern und von einem eigenen Stück Land träumen. Lennies geistige Kräfte bleiben weit hinter seinen körperlichen zurück, so dass George stets ein wachsames Auge auf ihn hat. Besonders wenn Lennie seinem Drang zum Streicheln und Gernhaben folgt. Claudia Jusczyk las uns am 3. Juli 2023 beim Freitagssalon das Folgende vor.
Lesedauer acht Minuten
„Es war gar nichts“, wiederholte Slim. „Na ja, du wirklich recht, was ihn betrifft. Helle ist er nicht, aber ich hab noch nie so einen Arbeiter gesehen. Er hat seinen Partner beim Aufladen fast umgebracht. Mit dem kann keiner mithalten. Allmächtiger Gott, so einen starken Kerl hab ich wahrhaftig noch nie gesehen.“
Voller Stolz sagte George: „Du brauchst Lennie bloß zu sagen, was er tun soll, und er tut’s, zum Teufel, solange er bloß nicht groß nachdenken muss. Selber denken kann er nicht, aber Befehle, die kann er wirklich ausführen.“
Von draußen hörte man ein Hufeisen gegen eine Eisenstange schlagen und gleich darauf Beifallsgeraune.
Slim rückte ein wenig nach hinten, sodass das grelle Licht ihm nicht ins Gesicht fiel. „Komisch, wie ihr zwei euch so zusammengetan habt.“ Es war Slims ruhige Einladung zu einem vertraulichen Gespräch.
„Was ist daran komisch?“, fragte George abwehrend.
„Na ja, ich weiß nicht. Kommt sonst kaum vor, dass die Männer zusammen tippeln. Ich hab fast nie zwei gesehen, die es tun. Weißt ja, wie das mit den Arbeitern ist, sie kommen rein und kriegen ihre Schlafstelle und arbeiten einen Monat und dann zieh‘n sie jeder für sich wieder los. Scheinen sich nie aus einem andern was zu machen. Ist komisch, so einen Bekloppten wie ihn und einen gescheiten kleinen Kerl wie dich zusammen rumziehen zu sehen.“
„Er ist nicht bekloppt“ sagte George. „Er ist dumm wie die Hölle, aber nicht verrückt. Und so gescheit wie du sagst bin ich auch nicht, sonst würd ich nicht für fünfzig Dollar plus Unterkunft und Verpflegung Gerste aufladen. Wär ich gescheit oder auch bloß ein bisschen clever, hätt ich ein eigenes Anwesen und brächte meine eigene Ernte ein, statt so zu schuften und nichts von dem zu haben, was aus der Erde wächst.“ George schwieg, aber er wollte weitersprechen. Slim tat nichts, ihn zu ermutigen oder zurückzuhalten. Ruhig und aufgeschlossen beugte er sich zurück.
„Ist gar nicht so komisch, dass er und ich zusammen rumziehen“, sagte George schließlich. „Wir sind beide in Auburn geboren. Ich kannte seine Tante Clara. Sie hat ihn zu sich genommen, als er noch ganz klein war, und ihn aufgezogen. Als seine Tante Clara starb, ist Lennie mit mir losgezogen, um Arbeit zu suchen. Und so haben wir uns nach einer Weile aneinander gewöhnt.“
„Hm“, machte Slim.
George warf einen Blick auf Slim und sah dessen ruhigen, gütigen Blick auf sich gerichtet. „Komisch“, fuhr er fort. „Ich hatte verdammt viel Spaß mit ihm. Hab ihn aufgezogen, dass er zu dumm ist, für sich selbst zu sorgen. Aber er war sogar zu dumm, zu merken, dass ich mich über ihn lustig gemacht hab. Es hat mir Spaß gemacht. Kam mir neben ihm Gott weiß wie gescheit vor. Er hat einfach alles getan, was ich ihm gesagt hab. Hätt ich ihm gesagt, er soll von ’nem Felsen springen, er hätt’s gemacht. Nach einer Weile hat das aber keinen Spaß mehr gemacht. Er ist ja auch nie böse geworden. Hab ihn damals oft richtig vermöbelt, dabei hätt er mir mit den bloßen Händen alle Knochen im Leib brechen können, aber er hat nie einen Finger gegen mich gerührt.“ Georges Stimme klang jetzt wie bei einer Beichte. „Ich will dir sagen, warum ich damit Schluss gemacht hab. Eines Tages stand ein Haufen Kerle am Sacramento River. Ich fühlte mich richtig toll. Dreh mich zu Lennie um und sag: „Spring rein!“ Und er springt! Konnte nicht einen einzigen Zug schwimmen. War fast ertrunken, bis wir ihn erwischt hatten. Und er war auch noch verdammt nett zu mir, weil ich ihn rausgezogen hab. Hatte glatt vergessen, dass ich es war, der ihn aufgefordert hatte zu springen. Na ja, danach hab ich so was nicht mehr gemacht.“
„Er ist ein netter Kerl“, sagte Slim. „Man braucht keinen Verstand, um nett zu sein. Manchmal hab ich das Gefühl es war eher umgekehrt. Die ganz Gescheiten sind selten nett.“
George nahm die herumliegenden Karten auf und begann, seine Patience auszulegen. Draußen war das Trampeln von Schuhen zu hören. Die Fenster waren noch immer hell vom Abendlicht.
„Ich hab keine Familie“, sagte George. „Ich hab Typen gesehen, die ganz allein von Farm zu Farm ziehen. Das taugt nichts. Die haben keinen Spaß. Nach einer Weile werden die bösartig. Sie warten nur noch auf einen Anlass zum Raufen.“
„Ja, sie werden böse“, stimmte Slim zu. „Und wollen bald mit keinem mehr reden.“
„Natürlich ist Lennie die meiste Zeit verdammt lästig“, sagte George. „Aber man gewöhnt sich dran, mit einem andern zusammen rumzuziehen, und man kommt nicht mehr voneinander los.“
„Er ist nicht böse“, sagte Slim. „Das merkt man gleich, dass Lennie nicht böse ist.“
„Natürlich ist er nicht böse. Aber er kommt dauernd in Schwierigkeiten, weil er so verdammt dumm ist. So wie diese Geschichte in Weed …“ Er hielt inne, hielt mitten im Umdrehen einer Karte inne. Er sah beunruhigt aus und spähte hinüber zu Slim. „Du wirst es doch niemand sagen, oder?“
„Was hat er in Weed angestellt?“, fragte Slim ruhig.
„Du wirst es doch niemand sagen … Nein, natürlich nicht.“
„Was hat er in Weed angestellt?“, fragte Slim noch einmal.
„Er hat dieses Mädchen gesehen, mit einem roten Kleid an. Dumm, wie er ist, will er alles anfassen, was ihm gefällt. Will nur sehen, wie es sich anfühlt. Er streckt also die Hand aus, um das rote Kleid anzufassen. Das Mädchen stößt einen Schrei aus und Lennie wird ganz konfus und hält das Kleid fest, weil es das Einzige ist, woran er denken kann. Naja, aber das Mädchen schreit und schreit. Ich war ein Stück weiter weg, doch dann hörte ich das Geschrei, ich komm also gerannt und inzwischen ist Lennie so durcheinander, dass er an nichts andres mehr denken kann als ans Festhalten. Ich hau ihm eine Zaunlatte über den Kopf, damit er loslässt. Der war so verschreckt, er konnte das Kleid einfach nicht loslassen. Und er ist so verdammt stark, du weißt ja.“
Slims Blick blieb unverwandt und ruhig. Er nickte sehr langsam. „Und was war dann?“
Slims Blick blieb unverwandt und ruhig. Er nickte sehr langsam. „Und was war dann?“
George legte sorgfältig eine Reihe Spielkarten aus. „Also, das Mädchen rennt zum Gericht und sagt, sie wär vergewaltigt worden. Die Burschen von Weed schließen sich zusammen und zieh‘n los, Lennie zu lynchen. Deshalb sitzen wir für den Rest des Tages in einem Bewässerungsgraben, unter Wasser. Haben nur die Köpfe am Rand rausgestreckt. In der Nacht haben wir uns dann davongemacht.“
Slim saß noch einen Augenblick schweigend da. „Er hat dem Mädchen nichts getan, was?“, fragte er schließlich.
„Zum Teufel, nein. Hat sie bloß erschreckt. Ich würd auch einen Schrecken kriegen, wenn er mich anpackt. Aber er hat ihr sonst nichts getan. Wollt bloß ihr rotes Kleid anfassen, so wie er dauernd die Welpen streicheln will.“
„Er ist nicht böse. Wenn ein Kerl böse ist, seh ich ihm das aus ’ner Meile Entfernung an“, sagte Slim.
„Natürlich nicht. Und er würd verdammt alles tun, was ich …“
In diesem Augenblick kam Lennie zur Tür herein. Er hielt seine blaue Jacke über die Schulter gehängt wie einen Umhang und ging gebückt.
„He, Lennie“, sagte George. „Wie gefällt dir denn jetzt das Hündchen?“
Atemlos erwiderte Lennie: „Es ist braun und weiß, genau wie ich’s mir gewünscht hab!“ Er ging direkt auf seine Schlafstelle zu und legte sich hin, mit dem Gesicht zur Wand und mit hochgezogenen Knien.
George legte seine Karten sehr behutsam hin. „Lennie“, sagte er scharf.
Lennie wandte den Kopf und schaute über seine Schulter. „Ja? Was willst du, George?“
„Ich hab dir doch gesagt, dass du das Hundejunge nicht hier mit reinbringen kannst.“
„Was für’n Hundejunges, George? Hab doch kein Hundejunges.“
George ging schnell auf ihn zu, packte ihn an der Schulter und drehte ihn um. Dann bückte er sich und nahm das winzige Junge, das Lennie an seinem Bauch versteckt hatte.
Lennie setzte sich eilig auf. „Gib’s mir, George!“
George sagte: „Du stehst jetzt sofort auf und bringst das Hündchen zu seinem Platz zurück. Es muss bei der Mutter schlafen. Willst du’s denn umbringen? Gestern Abend geboren und du nimmst es dauernd raus! Du bringst es jetzt zurück oder ich sag Slim, dass er’s dir nicht gibt.“
Lennie streckte flehend die Hände aus. „Gib’s mir, George. Ich bring’s ja zurück. Hab ihm nichts Böses tun wollen, George. Ehrlich nicht. Wollt es bloß bisschen streicheln.“
George gab ihm das Junge. „In Ordnung. Du bringst es ganz schnell zurück und nimmst es nicht mehr raus. Sonst hast du es umgebracht, bevor du’s merkst.“
Lennie hastete hinaus.
Slim hatte sich nicht gerührt. Seine ruhigen Augen folgten Lennie zur Tür hinaus. „Du lieber Himmel“, sagte er, „der ist wie ein Kind, was?“
„Natürlich ist er wie ein Kind. Auch so harmlos wie ein Kind, bloß mit dem Unterschied, dass er so stark ist. Ich wette, er kommt heute Nacht nicht zum Schlafen her. Er wird draußen im Stall schlafen, direkt neben der Kiste. Na, soll er doch. Da kann er nichts Schlimmes anstellen.“
Draußen war es fast ganz dunkel geworden. Der alte Candy, der Stubenkehrer, kam herein und ging zu seiner Schlafstelle, hinter ihm schleppte sich sein alter Hund. „Hallo, Slim, hallo, George. Hat keiner von euch beim Hufeisenspiel mitgemacht?“
„Ich mag das nicht, jeden Abend spielen“, sagte Slim.
Candy fuhr fort: „Hat einer von euch einen Schluck Whisky? Ich hab Bauchweh.“
„Ich hab keinen“, sagte Slim. „Würde ihn selber trinken, wenn ich welchen hätt, und ich hab nicht mal Bauchweh.“
„Ich hab schlimmes Bauchweh“, sagte Candy. „Krieg’s immer von diesen gottverdammten Rüben. Wusste, dass ich es kriegen würd, noch ehe ich sie angerührt hatte.“
Von dem dunkel gewordenen Hof kam der dicke Carlson herein. Er ging zum anderen Ende des Schlafraums und drehte das zweite Licht an. „Hier ist es dunkler als in der Hölle“, sagte er. „Jesses, wie dieser Nigger Hufeisen werfen kann!“
„Er ist gut“, sagte Slim.
„Und ob er das ist“, sagte Carlson. „Neben ihm hat keiner ’ne Chance zu gewinnen …“ Er hielt inne und hob schnüffelnd die Nase, dann blickte er, noch immer schnüffelnd, zu dem alten Hund hin. „Allmächtiger Gott wie dieser Hund stinkt. Bring ihn raus, Candy! Ich kenn nichts, was so stinkt wie ein alter Hund. Du musst ihn rausbringen!“
Candy rollte sich zum Rand seiner Schlafstelle. Er griff hinunter und streichelte das Tier. „Ich bin so an ihn gewöhnt“, sagte er entschuldigend, „mir fällt gar nicht auf, wie er stinkt.“
„Also ich kann ihn hier nicht länger ertragen“, erklärte Carlson. „Der Gestank bleibt hängen, auch wenn er raus ist.“ Schwerfällig und mit gespreizten Beinen ging er hinüber und blickte auf den Hund herab. „Er hat keine Zähne mehr“, sagte er. „Er ist ganz steif vor Rheuma. Er nützt dir nichts mehr, Candy. Und er nützt sich selber auch nichts mehr. Warum erschießt du ihn nicht, Candy?“
Der Alte wand sich vor Unbehagen. „Hm … verdammt! Ich hab ihn so lang gehabt. Seit er ganz klein war. Ich hab mit ihm Schafe gehütet.“ Stolz fügte er hinzu: „Man würde es nicht denken, wenn man ihn jetzt ansieht, aber er war der verdammt beste Schäferhund, den ich je gesehen hab.“
George sagte: „In Weed habe ich einen Burschen gesehen, der hatte einen Airdale, der Schafe hüten konnte. Hatte es von den andern Hunden gelernt.“
Carlson ließ sich nicht ablenken. „Schau mal, Candy. Der alte Hund leidet doch nur die ganze Zeit. Wenn du ihn rausbringst und ihm ins Genick schießt …“, er beugte sich vor und deutete auf die Stelle, „genau da, dann würd er überhaupt nicht merken, was mit ihm passiert.“
Candy sah sich unglücklich um. „Nein“, sagte er leise. „Nein, das könnt ich nicht. Ich hab ihn zu lange gehabt.“
„Er hat keinen Spaß mehr“, beharrte Carlson. „Und er stinkt schlimmer als die Hölle. Ich sag dir was, ich erschieß ihn für dich. Dann musst du’s nicht tun.“
Candy schwang die Beine von der Schlafstelle. Nervös kratzte er seinen weißen stoppeligen Backenbart. „Ich bin so an ihn gewöhnt“, sagte er leise. „Ich hab ihn gehabt, seit er ganz klein war.“
„Naja, du tust ihm aber keinen Gefallen, wenn du ihn am Leben lässt“, sagte Carlson. „Hör mal, Slims Hündin hat gerade Junge geworfen. Ich wette mit dir, dass Slim dir ’nen Welpen gibt, den du großziehen kannst, stimmt doch, Slim, oder?“
Slim hatte den alten Hund mit seinen ruhigen Augen betrachtet. „Klar“, sagte er. „Du kannst ein Junges haben, wenn du willst.“ Er schien sich einen Stoß zu geben. „Carl hat recht, Candy. Der Hund ist sich selbst nichts mehr nütze. Ich wünschte, jemand würde mich erschießen, wenn ich alt und ein Krüppel wär.“
Candy sah ihn hilflos an, denn Slims Meinung war Gesetz. „Vielleicht würd ich ihn ja bloß verwunden“, wandte er zögernd ein. „Mir macht es nichts aus, weiter für ihn zu sorgen.“
Carlson sagte: „So wie ich ihn erschießen würde, würd er bestimmt nichts merken. Ich würd das Gewehr genau da ansetzen.“ Er deutete mit der Zehe auf die Stelle.
„Genau da am Hinterkopf. Er würd noch nicht mal zucken.“
Candy sah Hilfe suchend von einem zum andern. Draußen war es inzwischen völlig Nacht geworden. Ein junger Arbeiter kam herein. Seine hängenden Schultern waren nach vom gebeugt und er setzte die Fersen so schwer auf als hätte er unsichtbar noch den Getreidesack auf den Rücken. Er ging zu seiner Schlafstelle und legte seinen Hut auf das Regalbrett. Dann nahm er ein Schundblatt und brachte es unter das Licht an den Tisch. „Hab ich dir das schon gezeigt, Slim?“, fragte er.
„Was gezeigt?“
Der junge Mann drehte das Heft um, legte es auf den Tisch und deutete mit dem Finger. „Genau da, lies das mal.“ Slim beugte sich drüber. „Nur zu“, sagte der junge Mann. „Lies es laut vor.“
„Lieber Redakteur“, las Slim langsam. „Ich lese Ihr Magazin jetzt schon seit sechs Jahren und ich glaub, es ist das beste auf dem Markt. Die Geschichten von Peter Rand mag ich sehr. Ich finde, er ist prima. Bringen Sie mehr Sachen wie Der dunkle Reiter. Ich schreibe nicht oft Briefe. Wollte Ihnen bloß sagen, dass ich nie einen Dime besser angelegt hab als für Ihre Hefte!“
Slim sah ihn fragend an. „Warum wolltest du, dass ich das vorlese?“
Whit sagte: „Weiter. Lies doch den Namen, der drunter steht.“
Slim las: „Mit besten Wünschen für Erfolg. Ihr William Tenner.“ Wieder sah er zu Whit auf. „Warum soll ich das vorlesen?“
Whit klappte das Magazin mit einer bedeutungsvollen Geste zu. „Erinnerst du dich nicht an Bill Tenner? Der hier vor ungefähr drei Monaten gearbeitet hat?“
Slim dachte nach. „So ein kleiner Kerl? Hat einen Grubber bedient?“
„Genau“, rief Whit. „Genau der!“
„Und du glaubst, das ist der Kerl, der den Brief geschrieben hat?“
„Ich weiß es. Bill und ich waren eines Tages hier drin. Bill hat eins von den Heften, das gerade gekommen ist. Blättert drin rum und sagt: ,Ich hab ’n Brief geschrieben. Bin neugierig, ob sie ihn reingenommen haben ins Heft.‘ Aber er war nicht drin. Sagt Bill ,Kann sein, sie heben ihn für später auf.‘ Und genau das haben sie getan. Hier steht er.“
„Du scheinst recht zu haben“, sagte Slim. „Steht richtig drin in dem Heft.“
George streckte die Hand nach dem Magazin aus. „Kann ich’s mal sehen?“
Whit fand die Stelle wieder, aber er gab das Heft nicht aus der Hand. Er deutete mit dem Zeigefinger auf den Brief Dann ging er zu seinem Kistenregal und legte das Heft sorgfältig hinein. „Ich wüsste gern, ob Bill es gesehen hat“, sagte er. „Bill und ich haben zusammen auf demselben Erbsenfeld gearbeitet. Haben beide ’nen Grubber bedient. Bill war ein verdammt netter Kumpel.“
Carlson hatte sich aus der ganzen Unterhaltung herausgehalten. Er schaute noch immer hinunter auf den alten Hund. Candy beobachtete ihn voller Missfallen. Schließlich sagte Carlson: „Wenn du einverstanden bist, werd ich den alten Teufel auf der Stelle von seinem Unglück erlösen und wir haben’s hinter uns. Er hat nichts mehr vom Leben. Kann nicht fressen, nichts sehen, nicht mal laufen, ohne dass er Schmerzen hat.“
Hoffnungsvoll wandte Candy ein: „Du hast ja keine Waffe.“
„Und ob ich eine hab. Ich hab ne Luger. Würd ihm nicht die Spur wehtun.“ Candy sagte: „Vielleicht morgen. Warten wir doch bis morgen.“
„Weiß nicht warum“, sagte Carlson. Er ging zu seiner Schlafstelle, zog sein Bündel unter dem Bett vor und holte eine Luger-Pistole heraus. „Bringen wir’s hinter uns“, sagte er. „Wir können nicht schlafen, wenn er uns hier alles vollstinkt.“ Er steckte die Pistole in die Hüfttasche.
Candy blickte lange auf Slim, in der Hoffnung auf einen Einspruch. Aber von Slim kam nichts. Schließlich sagte Candy leise und hoffnungslos: „Also, dann nimm ihn.“ Er schaute nicht hinunter zu dem Hund. Er legte sich zurück aufs Bett, kreuzte die Arme hinter dem Kopf und starrte an die Zimmerdecke.
Carlson nahm einen kleinen Lederriemen aus seiner Tasche. Er beugte sich vor und legte ihn dem alten Hund um den Hals. Alle Männer, außer Candy, schauten ihm dabei zu. „Komm schon, Junge, komm schon“, sagte er sanft. Und zu Candy gewandt, fügte er in entschuldigendem Ton hinzu: „Er wird’s nicht mal merken.“ Candy rührte sich nicht und gab ihm auch keine Antwort. Carlson zog den Riemen leicht an. „Komm schon, Junge.“ Der Hund kam langsam und steif auf seinen Beinen zu stehen und folgte dem leichten Zug der Leine.
„Carlson“, sagte Slim.
„Was ist?“
„Du weißt, was du zu tun hast.“
„Was meinst du, Slim?“
„Nimm eine Schaufel“, sagte Slim kurz.
„Klar! Hab verstanden.“ Er führte den Hund hinaus in die Dunkelheit.
George folgte ihm zur Tür, machte sie zu und ließ den Schnapper leise einrasten. Candy lag steif auf seinem Bett und starrte an die Decke.
Slim sagte laut: „Eins von meinen Maultieren hat einen schlimmen Huf. Muss ein bisschen Teer draufschmieren.“ Seine Stimme verlor sich. Draußen war es still. Carlsons Schritte verklangen. Die Stille drang in den Raum. Und die Stille blieb.
George gluckste in sich hinein. „Ich wette, Lennie ist draußen im Stall mit seinem Hundejungen. Wird bestimmt nicht mehr reinkommen wollen, jetzt, wo er ein Junges hat.“
Slim sagte: „Candy, du kannst dir einen von den Welpen aussuchen, welchen du willst.“
Candy gab keine Antwort. Wieder war es still. Die Stille kam aus der Nacht und überfiel den Raum. George fragte: „Hat jemand Lust auf ’ne Partie Euchre?“
„Ich würd ein Spiel mit dir machen“, sagte Whit.
Sie nahmen einander gegenüber an dem Tisch unter der Lampe Platz, aber George fing nicht an, die Karten zu mischen. Er spielte nervös mit einer Ecke des Deckblatts und das schnappende Geräusch zog die Blicke aller Männer auf ihn, sodass er aufhörte. Abermals überfiel die Stille den Raum. Eine Minute verstrich, dann noch eine. Candy lag reglos da und starrte an die Decke. Slim betrachtete ihn einen Moment, dann senkte er den Blick auf seine Hände; er legte eine über die andere und hielt sie fest. Ein leiser, nagender Laut drang von unter dem Fußboden hervor und alle Männer sahen dankbar hin. Nur Candy starrte weiter zur Decke.
„Klingt, als ob da unten ’ne Ratte wär“, sagte George. „Müssen wohl mal ’ne Falle aufstellen.“
Whit platzte heraus. „Was, zum Teufel, braucht er so lange? Gib die Karten aus, warum hast Du sie noch nicht ausgegeben? So kriegen wir kein Spiel hin.“
George nahm die Karten auf und betrachtete sie von Rückseite. Wiederum herrschte Stille im Raum.
In der Ferne war ein Schuss zu hören. Sofort blickten die Männer zu dem alten Mann hin; alle Köpfe hatten sich nach ihm umgedreht.
Einen Moment starrte er weiter an die Decke. Dann drehte er sich langsam mit dem Gesicht zur Wand und blieb still liegen.
Es grenzt eigentlich an ein Wunder, dass man mit Hilfe von so abstrakten Zeichen wie Buchstaben Gefühle vermitteln kann, und zwar sehr intensive Gefühle. Die Geschichte der Schrift ist eine faszinierende, hier ein Eindruck über die Vielfalt der Formen. Und Typografie ist ein zu wichtiges kommunikatives Element, um es den Art Directoren zu überlassen. Mach dich schlau.
Glaubwürdige Dialoge, die die Leserin, den Leser teilhaben lassen, sind eine Kunstform für sich. Wenn du Lust hast: andere bemerkenswerte Beispiele von Fil Tägert, Yasmina Reza, Sven Regener und Kurt Tucholsky.