In dieser Kurzgeschichte durchkreuzt die Begegnung mit einer kleinen Hundefamilie die Pläne eines Paares beim ersten Date. (Enthält Passagen, die empfindsame Leser*innen schockieren könnten.) Denise Burmester las uns ihre Geschichte beim Freitagssalon am 25. August 2023 vor.
Lesedauer fünf Minuten
Das erste Date mit ihr, und wir gehen in eine dieser modernen Ausstellungen. Überall darf man mitmachen und etwas anfassen und Erstsemester-Studentinnen turnen kreuz und quer umher und fühlen sich intellektuell. Mit den Händen darf man Abdrücke auf Leinwänden hinterlassen und man darf durch lange Plastikröhrchen pusten, sodass es Musik ergibt. Nicht meins. Auf Bildern stehen einzelne Worte. „Kampfzone“ auf einem Bild, und allein die Schriftart soll vermitteln, dass dies jetzt ein pazifistisches Statement sein soll. „Run a lot but walk a lotter“ und „Work a lot but live a lotter“ in den Sprechblasen von Cartoon-Hunden.
Warum lässt sich jemand zu solch grammatikalischen Missbildungen absichtlich hinreißen?
Sie hat Spaß und das genügt mir. Es ist Abend, als wir die Ausstellung verlassen.
Ich lege meinen Arm um sie und sie lächelt. Jetzt kommt Schritt zwei. Ob wir noch etwas trinken gehen und eine Cocktail-Bar suchen? Sie schüttelt den Kopf und ihre lockigen, blonden Haare schwingen mit. „Ich trinke keinen Alkohol“, sagt sie. Ihre Haare sind wunderbar gelockt. Sie sind fest und strahlend und sehen aus wie blonde Korkenzieher, mit denen man einen schönen Rotwein hätte öffnen können. Ich fasse ihre Haare an. Irgendwie muss ich nun Körperkontakt zu ihr herstellen, wenn wir jetzt schon nichts trinken. Es soll ja erfolgreich enden. Ich wandere an ihren Locken hinab und zwirble sie. Ich weiß, dass sie keine Naturlocken hat. Die Vorstellung, dass sie extra für mich und für diesen Abend ihre glatten Haare um einen glühend heißen Lockenstab wickelte, erregt mich etwas. Der Mond scheint hell und voll. Alles andere ist in die Dunkelheit dieses Herbstabends getaucht.
„Ich kann ja auch einen Drink ohne Alkohol trinken. Das ist schon ok.“, sagt sie. Ja, nur ging ich zielorientiert an diesen Abend heran, dachte ich. Ich umfasse ihre Hüfte und wir suchen einen geeigneten Ort, um den Abend ausklingen zu lassen.
Plötzlich entdecken wir fast zeitgleich ein undefiniertes Bündel Fell in einer Gasse.
„Was ist denn das?“, fragt sie. „Ist das ein Tier?“
Wir nähern uns dem Bündel. Ein kleiner Welpe. Sein noch dünnes, helles Fell ist blutverklebt. „Was machen wir nun mit ihm?“, fragt sie.
Dieses kleine, verletzte Wesen, unbemerkt in einer Gasse. Jetzt Hund retten, anstatt Doggy-Style, denke ich. Vorsichtig nehme ich ihn. Er zittert in der Kälte und blickt mich an. Ich streiche vorsichtig über das Fell.
„Jetzt haben wir einen Hund“, sagt sie. Vorhin konnten wir uns nicht entscheiden, wo wir noch hingehen, und jetzt haben wir einen Hund. Das wirft meine Pläne durcheinander. „Wir könnten ihn gesund pflegen und uns dann um ihn kümmern“, sagt sie. Ich nicke müde und beäuge die halbe Portion, die jetzt mein neuer Freund wird.
Wolkenbruch wie aus dem Nichts. Es regnet fürchterlich und prasselt hart auf mich herab. Ich setze mir meine Kapuze auf und öffne meine Jacke, damit der Welpe nicht nass wird. Wir rennen durch die Straße, um nicht nass zu werden.
Dann sehen wir es. Das Bild werde ich nicht mehr los. Eine tote Hündin, mitten auf der Straße im Regen. Die Autos fahren an ihr vorbei. Vermutlich wurde sie angefahren. Es ist Wochenende und alle wollen feiern. Besonders jetzt, wo es regnet, will niemand aus seinem Auto aussteigen.
Wir rennen auf die Straße und die Autos hupen an uns vorbei. Um die Hündin herum Welpen, die bei ihr trinken wollten. Alle bluten. Das Regenwasser auf der Straße färbt sich rot und rinnt in den Gulli. Zwei tote Welpenkörper sind völlig zerquetscht von Autoreifen. Es ist einfach nichts mehr zu machen. Sie weint und ich sehe nur noch Flüssigkeiten, die sich vor meinem inneren Auge zu vermischen scheinen: Tränen, Regen, Blut. Das goldene Fell der Hunde völlig durchnässt und verdunkelt und in Blut getaucht.
So habe ich mir den Abend nicht vorgestellt. Die Mutter wollte ihre Kinder säugen und dann kam wohl ein Auto. Geburt und Tod so dicht beisammen. Da kennt man jemanden eigentlich gar nicht – und sieht zusammen den Tod. Ist zusammen traurig. Mir ist das unangenehm. Da raste dieses Auto und tötete eine Hundefamilie und meinen Abend. Es ist, als wäre die Zeit angehaltenworden, und alles ist gefüllt mit Gedanken an diese Hunde, für die sich niemand interessiert. „Wir müssen sie retten!“, schreit sie. Sie nimmt welche und rubbelt mit ihren Händen an ihnen. Das klappt nur in Filmen. „Sie sind tot“, sage ich. Sie nimmt die drei, deren Körper nicht augenscheinlich zermalmt sind. Morgen würde sie mit ihnen zum Tierarzt gehen. „Die sind tot“, sage ich, „aber der hier lebt noch.“ Ich verweise auf den Kleinen unter meiner Jacke. Jeder geht zu sich nach Hause.
Dort trockne ich das Fell vorsichtig ab und lege meinen Kumpel vorsichtig neben mich ins Bett. Ich streichle ihn und wir schlafen ein. Am nächsten Morgen ist er tot.
Es ist, als wäre die gesamte Rettungsaktion umsonst gewesen.
Ich bekomme eine Nachricht von ihr: „Die Welpen sind alle tot 🙁“
Mit einem idiotischen Emoji. So ein Emoji passt vielleicht bei: „Ich habe den Bus verpasst 🙁“, aber nicht, wenn die Aussage wirklich traurig ist. So was muss man nicht untermalen. „Meiner auch.“, antworte ich.
Ich hörte nie wieder von ihr und redete nie wieder über die Hundesache.
Einen Pitch zu verlieren, ist nicht ehrenrührig; viel eher ist ehrenrührig, an einem Pitch teilzunehmen. Weshalb diese antiquierte und volkswirtschaftlich komplett unsinnige Form der Wahrheitsfindung noch existiert, ist rätselhaft. Ob man langfristig miteinander glücklich wird, ist mit einer Konkurrenzpräsentation nicht zu ermitteln, und das, was publiziert wird, hat in der Regel wenig mit dem zu tun, was bei der Präse gezeigt wurde. Hört auf mit dem Scheiß.
Erste Begegnungen werden in der Nachbetrachtung häufig als schicksalshaft betrachtet. Welchen Ausgang nimmt wohl das von Sven Regener beschriebene erste Aufeinandertreffen?