„Ich wäre Goethes dickere Hälfte“ aus „Wenn Du geredet hättest, Desdemona“ von Christine Brückner (1983)

Über den weitgefassten Rahmen der vielseitigen Interessen Goethes kann man viel lesen und staunen. Über die Empfindungen seiner jüngeren Frau Christiane Vulpius weniger. Was könnte sie zum Beispiel davon gehalten haben, dass ihr Gatte eine gleichermaßen lange wie innige Beziehung zu der verwitweten Charlotte von Stein pflegte? Hier ein Ausschnitt aus einer Ansprache, die sich Christiane nach der Vorstellung von Christine Brückner zurechtgelegt haben könnte, um der Hofdame gegenüber mal Dampf abzulassen.

Lesedauer knapp sechs Minuten

Die Frau verwitwete Oberstallmeisterin empfängt nicht? Sie fühlt sich nicht? Auch recht. Ich kann warten. Vielleicht fühlt sie sich demnächst wieder? Ich kann auch Platz nehmen. Vielleicht müssen Sie Ihren Salon mal verlassen und kommen durchs Vorzimmer, und da sitzt dann die ehemalige Vulpius. An der kommt man nun nicht mehr vorbei, Madame von Stein, auch Sie nicht. Soll ich lauter sprechen, damit Sie mich verstehen? Oder halten Sie sich die Ohren zu, weil ich ordinär rede? Thüringisch! Das tun Sie auch, nur gestelzter. Ich passe nicht in Ihre Sessel, ich bin zu breit. Hier darf man sich’s wohl nicht commod machen? Hier muß man die Knie aneinander drücken und darf sich nicht anlehnen. Aber ich lehn mich gern wo an! Und jetzt setz ich mich erst recht lätschig, nur weil Sie’s erwarten. Der Portwein ist für mich? Oder soll er noch für andere Besucher reichen? Wer kommt denn noch? Die Weimarer fürchten Ihre spitze Zunge. Haben Sie die Karaffe füllen lassen, als Sie die Kalesche der Vulpiussen haben vorfahren sehen? Wollen Sie wissen, ob ich die Karaffe leer mache? Kommt drauf an, Madame, wie lange Sie mich warten lassen. Wer mehr Geduld hat. Jetzt sind Sie neugierig, ob der Meinige weiß, daß ich Ihnen einen Besuch abstatte. Er befindet sich zur Kur in Marienbad, das weiß in Weimar jeder, und Sie wissen’s auch. Und wenn er zurückkommt, erzählt er, wie’s war, und ich erzähl ihm, wie’s in Weimar war, und vielleicht erzähl ich ihm auch, daß die Frau von Stein sich nicht fühlte, um die kranke Frau von Goethe zu empfangen. Ich dacht, wir hätten uns was zu sagen gehabt. Wenn’s dem Ende zugeht, muß es auch mit dem Streit zu Ende gehn. Wir sollten unsre Sach ins reine bringen. Vielleicht, daß Sie das eine oder andere gern zurücknehmen möchten? Worte wiegen schwer. Sie haben angeordnet, daß die Sargträger Ihre Leiche nicht am Frauenplan vorbeitragen sollen, wenn’s soweit ist. Ich bin vorher dran, Madame. Wenn’s meinetwegen ist, können Sie sich den Umweg sparen, und der Meinige wird nicht am Fenster stehn, er geht dem Tod aus dem Wege. Ich schenk mir noch mal ein, wenn’s recht ist. Und jetzt werd ich Ihnen erzählen, wie alles gekommen ist. Ich hab nichts für mich gewollt von dem Herrn von Goethe. Ich hab ihm damals eine Bittschrift meines Bruders überreicht. Nur angesehen hat er mich, und ich hab geknickst und bin rot geworden und hab gelacht, weil ein armes Mädchen nicht stolz sein darf. Er hat mich eingeladen in sein Gartenhaus. Zuerst, da haben die Leut gedacht, die Demoiselle Vulpius putzt und kocht für ihn und weiter nichts. Aber das Weiternichts, das war die Hauptsach. Für ihn war ich keine Arbeiterin, die Kunstblumen in der Bertuchschen Fabrik macht, für ihn war ich ein Blumenmädchen. Ich war sein Mädchen. Er liebte Mädchen. Er hatte genug von den Damens! Ich hab mich heimlich durch die Gärten hingeschlichen, hintenherum. Das Wehr an der Ilm rauschte, da hat mich keiner gehört. Er sollte nicht ins Gerede kommen, und ich durfte auch nicht ins Gerede kommen. Aber die Weimarer! Da hat jeder drei Augen und drei Ohren! Als sie’s rausgekriegt hatten, daß ich bei ihm war, Tag und Nacht, da hieß es, ich wär ein Geschöpf aus der Gosse. Ich wär eine Hure. Ich käm aus einer Pöbelfamilie. Mein Vater wäre ein Trinker. Aber der Meinige hat mir einen Schlüssel gegeben und hat unser Häusgen gesagt. Ich hab im Garten gehackt und gejätet und Wasser von der Ilm geholt und die Blumen gegossen, und die sind gewachsen und haben geduftet. Das war mir am liebsten, draußen bei den Blumen, die Dornen hatten und welk wurden, anders als die Seidenblumen, die ich bei Bertuch machen mußte für Damens wie Sie. Wir Mädchen waren stolz, wenn wir hörten, daß die Frau Oberstallmeisterin von Stein unsere Blumen an ihrem Busen trug, an ihrer imponierenden Büste, sagten wir dazu. Wenn der Meinige nach Jena fuhr, für mehrere Tage, und ich war allein im Häusgen, dann hab ich mich nützlich gemacht, und wenn er zurückkam, war ich nicht verdrießlich und hab nicht gefragt wieso und woher. Dann hatten wir unser Hätschelstündchen, darauf war er so erpicht wie ich. Die Frau Rath in Frankfurt hat ihn ihren Hätschelhans genannt und hätscheln, das hatte er gern und ich auch. Und gelobt hat er mich, ohne meinen Namen zu nennen. Er hätt jetzt ein Haus und gut Essen und Trinken und dergleichen, und die Leut wußten, was er mit dergleichen meinte und tuschelten und keiften, und ich traute mich nicht auf die Straße. Aber er, er hat’s als eine Gewissensehe angesehen, nur ohne Zeremonie. Er hatte ja noch nicht viele gute Ehen zu sehen bekommen, in Weimar nicht und in Jena auch nicht. Keine, die ihm Lust gemacht hätte. Da war alles standesgemäß und reputierlich, und von Lust und Lachen war nichts. Ich hab nicht viel gelernt, nur daß ich lesen und schreiben konnt, aber ich hab meine Augen und Ohren aufgesperrt, und meine Gedanken sind hinter seinen Gedanken hergerannt und sind Kobolz geschossen und oft nicht angekommen. Er hat mir vorgelesen, was er geschrieben hat, nicht nur Ihnen, Madame, und manchmal tut er’s heut noch. Ich hab zugehört und genickt und gelacht und losgeheult, wenn’s traurig war. Und wenn’s langweilig war, bin ich eingeschlafen. Ich war wie’s Publikum. Und Sie waren seine Kritikerin. Zu Haus will einer nicht kritisiert werden, da will er geliebt und bewundert sein. Und geendet hat’s meistens mit unserm Schlampampstündchen. Sie wissen nicht, was das ist? Hat’s das mit dem Herrn Oberstallmeister nicht gegeben? Ich sag’s Ihnen nicht! Jetzt brauchen Sie’s auch nicht mehr zu wissen. Was haben Sie denn Ihrer Dienstmagd gesagt, als Sie die Vulpiussen im Spion entdeckt haben? Für die Dame Vulpia bin ich nicht zu Hause? Ich bin unwohl? Unpäßlich? Wird Ihnen schlecht bei meinem Anblick? Es riecht hier säuerlich, Madame, schon auf der Stiege. Ungelüftet! Ich komm aus kleinen Verhältnis sen, aus der Gosse, oder wie drücken Sie das aus? Aber jetzt hab ich’s zu was gebracht, ohne daß ich drauf aus war. Es hat sich ergeben. Ich sag dem Kutscher: Fahr er mich zu der Frau Oberstallmeisterin von Stein! Er braucht nicht zu warten, wir haben miteinander zu reden, es wird dauern. Jetzt seh ich’s mit eigenen Augen. Sie leben ärmlich.

Konflikte in Arbeitssituationen sind ebenso vielfältig wie in Beziehungen – schließlich geht’s ja auch in der Agentur um Persönliches, um Emotionales, um sehr privat Gefühltes – allerdings sind mehr Personen involviert. Zurückhaltung ist meist eine gute Haltung, basiert auf ihr doch ein guter Teil unserer Kultur, meinte mindestens Camus.

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