„Ein Winter auf Mallorca“ von George Sand (1842)

Einen Urlaub auf der Insel Mallorca zu verbringen war um 1838 nicht so verbreitet wie heutzutage. Amantine Aurore Lucile Dupin de Francueil, besser bekannt unter ihrem Künstlernamen George Sand, reiste damals mit ihrer Tochter Solange und zwei gesundheitlich Angegriffenen – ihrem Sohn Maurice und ihrem Geliebten Frédéric Chopin – dorthin. Die Gesundheit der Letzteren sollten gestärkt und stabilisiert werden und sie wollte in Ruhe ihrer schriftstellerischen Tätigkeit nachgehen. Hier ein kurzer Ausschnitt aus den recht subjektiv dargestellten Eindrücken der Dame – von der Reise, der Insel und den dortigen Verhältnissen.

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An einem der ersten Novembertage des Jahres 1838 kamen wir in Palma an; es war so warm wie bei uns im Juni. Bei der Abreise aus Paris vor vierzehn Tagen war es ungewöhnlich kalt gewesen; wir hatten also den ersten Hauch des Winters verspürt und waren froh, den Feind hinter uns zu lassen. Hinzu kam das Vergnügen, eine Stadt von besonderem Charakter und mit einer Reihe von Sehenswürdigkeiten von ungewöhnlicher Schönheit oder Eigenart zu durchstreifen. Aber die Schwierigkeit, eine geeignete Unterkunft zu finden, machte uns bald Kummer, und wir erkannten, daß die Spanier, die uns Mallorca als gastfreundlich und mit allem Nötigen versehen gepriesen hatten, nicht nur sich, sondern auch uns getäuscht hatten. Bei der Nachbarschaft der großen europäischen Zivilisationen hätten wir nicht erwartet, daß es auch nicht einen Gasthof gab. Dieses Fehlen einer Unterbringungsmöglichkeit für Reisende hätte uns schon ahnen lassen müssen, was Mallorca im Vergleich zur übrigen Welt darstellt; es hätte uns veranlassen sollen, unverzüglich nach Barcelona umzukehren, wo es doch wenigstens eine elende Herberge gibt, die sich großspurig Hotel des Quatre-Nations nennt. In Palma muß man zwanzig der einflußreichsten Persönlichkeiten empfehlend angekündigt sein; nur wenn man seit Monaten erwartet wird, kann man hoffen, nicht unter freiem Himmel kampieren zu müssen. Alles was man für uns hatte tun können, war, uns zwei winzige, kaum möblierte Zimmer in einer üblen Straße zu beschaffen, wo die Fremden sich glücklich preisen dürfen, wenn jeder ein Gurtbett, weich und federnd wie eine Schieferplatte, und einen Stuhl mit strohgeflochtenem Sitz vorfindet, und als Nahrung … Pfeffer und Knoblauch à discrétion. Nach weniger als einer Stunde hatten wir begriffen, daß man uns scheelen Blickes als Flegel und Nörgler oder doch zumindest mitleidig als Verrückte ansehen würde, wenn wir von diesem Empfang nicht begeistert waren. Wehe dem, der in Spanien nicht mit allem zufrieden ist! Man braucht nur die Miene ein bißchen zu verziehen, wenn man Ungeziefer im Bett oder einen Skorpion in der Suppe findet, und schon zieht man sich die tiefste Verachtung zu und bringt alle Welt gegen sich auf. Wir haben es also ängstlich vermieden, uns zu beklagen, und sind langsam dahintergekommen, was es mit der Knappheit an Mitteln und dem auffälligen Mangel an Gastfreundschaft für eine Bewandtnis hat. Abgesehen von der geringen Aktivität und Energie der Mallorquiner hatte damals der Bürgerkrieg, der Spanien schon so lange zerrüttete, den Verkehr zwischen der Insel und dem Festland gedrosselt. Mallorca war der Zufluchtsort von so viel Spaniern geworden, wie es fassen konnte, und die Einheimischen hatten sich in ihre Häuser verkrochen und hüteten sich, sie zu verlassen, um im Mutterland Abenteuer zu suchen und Hiebe zu beziehen. Hinzu kommt das völlige Fehlen von Industrie verbunden mit maßlosen Zöllen auf alles, was das Leben lebenswert macht. Beispielsweise verlangte man von uns 700 Franken Zoll auf ein Klavier, das wir uns aus Frankreich kommen ließen; das war nahezu der Wert des Instruments. Es zurückzuschicken war nicht erlaubt; es zunächst im Hafen einzulagern war verboten; es unter Umgehung der Stadt auf unseren Landsitz zu schaffen und damit Torgeld zu sparen, war gegen die Vorschriften; es in Palma zu lassen, um die Maut für die Ausfuhr aus der Stadt zu vermeiden, war unstatthaft. Wir hätten es höchstens ins Meer werfen können, vorausgesetzt, man hätte es genehmigt. Nachdem wir 14 Tage lang verhandelt hatten, erreichten wir, daß wir es durch ein Seitentor ausführen durften, und kamen mit etwa 400 Franken davon. Das Stadtgebiet von Palma faßt eine bestimmte Zahl von Einwohnern. Wenn dieses Maß überschritten wird, drängt man sich etwas mehr zusammen, baut aber keine neuen Häuser.

Alles hat seinen Grund. Verhaltensweisen, die dir auf den ersten Blick befremdlich erscheinen, haben in der Regel einen nachvollziehbaren und vernünftigen Hintergrund. Einer der wirklich schönen Aspekte der Arbeit in der Kommunikation ist, dass immer wieder neue Fragestellungen mit immer wieder neuen Erkenntnissen auf dich zukommen.
Freu dich darauf!