Um sich gesellschaftlich etwas besser zu positionieren, möchte die zielstrebige Anna Bomberling ihre Tochter Babette bald mit dem Geheimen Regierungsrat verheiratet sehen. Denn die Profession ihres Gatten ist zwar einträglich, taugt aber kaum zum unbefangenen Gesprächsthema. Dass die siebzehnjährige Babette und der um einiges ältere Auserkorene sich nicht mal kennen, gedenkt Anna geschickt zu ändern. Schließlich kennt sie die Tante des Mannes. Der Zufall schenkt ihr eine Gelegenheit, sich die Sympathie der Tante warmzuhalten, indem sie dieser einen Gefallen tut.
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Sie wollte ihre Freundin, die Frau Geheimrätin, besuchen, eine feine und liebenswürdige Dame. Ihr verstorbener Mann war ein großer Gelehrter gewesen. Man hatte eine ganze Käferfamilie nach ihm benannt. Außerdem, wie so manches zusammentrifft, war die Rätin die Tante jenes Geheimen Regierungsrats.
Frau Geheimrat hatte es trotz der ehrenvollen Beziehung zu der neu entdeckten Käferfamilie recht knapp. Sie lebte ohne Dienstmädchen und ließ sich nur die gröbste Arbeit ihres Haushaltes von der Portierfrau besorgen. Das übrige tat sie selbst in Glacéhandschuhen und einem Häubchen auf dem Haar.
Aber auch mit Glacéhandschuhen angefaßt, bleibt der Alltag grob.
Die Portierfrau zeigte nicht genügend Respekt und grinste höhnisch, wenn sie den geringen Küchenabfall forttragen sollte. So hatte Frau Geheimrat ihre Freundin Bomberling gebeten, ihr doch einige Sektpfropfen mitzubringen, die sie dann und wann in den Abfalleimer der Küche werfen konnte.
Frau Anna hatte bereitwilligst zugesagt. Obgleich auch Bomberlings, wenn sie unter sich waren, ohne jeden übertriebenen Aufwand speisten.
Aber wir müssen uns der hohen Meinung unserer Freunde nicht unwert zeigen.
Frau Bomberling ging in ein Weingeschäft, bestellte einige Flaschen roten Tischwein und bat den Verkäufer um einige alte Champagnerpfropfen.
„Aber natürlich französische“, fügte sie hinzu.
Sie wurde von Frau Geheimrat mit großer Freude empfangen, denn diese hatte sich soeben fürchterlich geärgert und war überaus froh, jemandem ihr Herz ausschütten zu können. Die Portierfrau hatte eine kleine Gipsbüste zerschlagen, die Schiller dargestellt hatte. Statt ein Wort der Entschuldigung zu sagen hatte sie behauptet, daß Schiller doch nicht mehr modern sei.
„Was sagen Sie dazu?“ fragte die Frau Rätin, vor Erregung zitternd.
Frau Bomberling errötete. Sie hatte keine Erfahrung auf diesem Gebiet. Aber es schien ihr, daß das Theaterstück Don Carlos, das sie erst kürzlich mit Babette gesehen hatte, von diesem zerbrochenen Schiller gemacht worden war.
„Das sind so Ansichtssachen“, sagte sie zögernd.
„Gewiß, gewiß“, beeilte sich die Freundin zu sagen. – „Aber daß sich eine solche Person mir gegenüber ein literarisches Urteil herausnimmt. Ein kleiner Standesunterschied muß doch schließlich noch da sein.“
Frau Bomberling überreichte das Päckchen mit den Pfropfen und machte die Beschenkte darauf aufmerksam, daß es echte französische wären. Frau Rätin könne jederzeit neue bekommen. Diese dankte herzlich und versicherte, daß sie lange damit auskommen werde. Jeden Sonntag einen Pfropfen in den Kasten wäre reichlich genug. Man muß nicht verschwenden.
Ein hübscher literarischer Fingerzeig auf zwei immer wieder auftauchende kommunikative Fragestellungen:
Häufig vergisst man wichtige Meinungsmultiplikatoren.
Das Ziehen von eigenen Schlüssen ist überzeugender als das häufig wiederholte Versprechen.