Das Feilen am passenden Ausdruck gehört nicht nur zum Werbung Texten, sondern in besonderem Maße auch zum Übersetzerhandwerk. Deshalb nun zu den Äußerungen eines versierten und höchst sprachinteressierten Übersetzers. Oder wie dieser gesagt hätte, zu denen „eines Bären von sehr geringem Verstand“, dem er über lange Jahre in einer Kolumne der „Zeit“ das Wort in den Fang legte. (Gesammelt erhältlich in zwei Bänden.) Er stellt uns mehrere Möglichkeiten vor, ein kurzes Gedicht des Iren Flann O’Brien ins Deutsche zu übertragen.
Lesedauer gut sechs Minuten
Übersetzen ist Kunst II
Als ich neulich in Innsbruck (welches man korrekt „Innschbruckch oddr?“ ausspricht) mit Betonung aus Selbstübersetztem vorgelesen hatte, sagte eine junge Frau zu mir, sie schreibe eine Magisterarbeit über die beiden verschiedenen deutschen Übersetzungen von Flann O’Briens „At Swim-Two-Birds“ und ob ich ihr da mit Material aushelfen könne? „Nein“, sagte ich, denn ich erinnerte mich an die Worte eines weisen Balten: „Das hat die Natur so eingerichtet, daß Frauen jemanden suchen, der ihnen die Magisterarbeit schreibt.“
Trotzdem kann der Frau natürlich geholfen werden, a-one, a-two, a-three:
When money’s tight and is hard to get
And your horse has also ran,
When all you have is a heap of debt –
A PINT OF PLAIN IS YOUR ONLY MAN.
Bei Gott, da ist Schwung drin. Das waren vier Zeilen aus dem Gedicht „Workman’s Friend“, welches der Arbeiterdichter Jem Casey verfaßte, als er im Gebüsch hockte, wo ihn unsere Freunde aufstöberten, als sie …, aber das würde im Augenblick zu weit führen. Dasselbe nun noch mal auf deutsch von Frau Dr. Lore Fiedler (Rowohlt, 1966):
Wenn du schlecht bei Kasse bist und dein Pferd
Nur unter >ferner liefen< erscheint,
Und Schulden alles sind, was dir gehört,
IST EIN MASS DUNKLES DEIN EINZIGER FREUND.
Und nun die Neuübersetzung von Helmut Mennicken MA und mir (Haffmans, 1989):
Ist das Geld dir knapp und schwer zu kriegen,
Wenn dein Pferd nur im Mittelfeld streunt
Und auf dem Konto nur Schulden liegen,
IST EIN PORTER DEIN EINZIGER FREUND.
Nun ist mir aber ein prächtiges coffeetable book aus dem Verlag Droemer Knaur zugelaufen, welches den wenig wahrscheinlichen Titel Irland. Eine kulinarische Liebeserklärung trägt. Ich schwöre bei der Ehre meiner Mutter: Dies ist kein böser Scherz; das Buch heißt wirklich so. Gierig schlägt man im Register unter F nach, um fish’n‘ chips zu finden, aber der einzige Eintrag unter F ist Fasan, und mit Fasan kann man mich ja nun jagen (siehe dieses). Statt dessen steht auf Seite 42 folgendes:
Wenn das Geld knapp und schwer zu bekommen ist
Und auch dein Pferd durchgegangen ist
Wenn alles, was du hast, ein Berg Schulden ist,
Bleibt dir als einziger Trost der Alkohol
Na bitte. So geht’s doch auch.
Von Innsbruck ging es weiter über Jenbach (welches man korrekt „Jenbachch, oddr?“ ausspricht, und wo es, falls Sie mal hinkommen, ein „Café Toleranz“ gibt) nach Wörgl (beim dem es nichts zu krächzen gibt, weshalb auch das „oddr?“ entfällt). In Wörgl wurde mir dann klar, was es mit dem „oddr?“ auf sich hat, denn die Veranstalterin sagte, sie habe zu Hause drei Schweine oddr?, und das konnte nur ein rhetorisches „oddr“ sein, denn sie muß doch selbst am besten wissen, ob es drei sind. Oder ob es Schweine sind.
Auf der Buchmesse traf ich den Urs, welcher, wie der Name schon sagt, Schweizer ist, und der Urs sagte, in der Schweiz werde seit einiger Zeit nicht mehr richtig „oddr?“ gesagt, und da waren wir dann froh und beruhigt, weil es im Tirol so gut untergekommen ist.
Überhaupt die Buchmesse. Auch so ein Fall für sich. Mein erstes Knöllchen bekam ich mit zwölf Jahren wegen Radfahrens und gleichzeitigen Lesens. Ein „Strafmandat“ war das damals, ein Wort wie aus dem Aussprachebuch für Schauspieler: „Barbara saß nah am Abhang, sprach gar sangbar, zaghaft, langsam. Mannhaft naht alsdann am Abhang: Abraham a Santa Clara.“ Mat anam Strafmandat.
Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen bedanken, die bis hierher gelesen haben. Ich weiß, was in Ihnen vorgeht. Ich habe es auch satt. Ich fliege nach New York, zur Matisse-Ausstellung.
(Haben Sie das eben geglaubt? Da kennen Sie Ihren Bären aber schlecht. Ich fliege nicht nach New York, sondern weil heute Samstag ist, gehe ich zum Stammtisch, den wir allerdings, wegen der geistvollen Konversation, die dort gepflegt wird, „das Algonquin East“ getauft haben.)
…ist ein Porter dein einziger Freund
(ca. zwei Kolumnen später)
In jedem „Zeit“-Leser steckt ein Kind, und das muß beschäftigt werden, damit es nicht zum Fußballspielen auf die Straße rennt und unters Auto kommt.
Als ich drei mögliche deutsche Übersetzungen eines Vierzeilers aus der Ode „The Workman’s Friend“ (Flann O’Brien, At Swim-Two-Birds) vorstellte, ahnte ich bereits, daß zwei, drei LeserInnen das auch und noch viel besser können. Daß es aber vier sind, hätte ich nie zu hoffen gewagt. Alle vier bekommen natürlich eine handxerokopierte Urkunde, die sie am Revers bzw. zerknüllt im Ausschnitt tragen können.
Zitiert wird chronologisch nach Posteingang, zweite und dritte Preise gibt es nicht, Einsendeschluß war vorhin. Das eine preisgekrönte Gedicht verpflichte ich mich, auswendig lernen zu versuchen zu wollen.
Von Franziska Dietmayer in 8000 München 90 erreicht uns:
Wenn Geld knapp ist und du treibst keins auf,
Und auch dein Pferd brachte nichts Bares,
Wenn all deine Hab‘ nur ein Schuldenhauf,
Dann ist eine Flasche Schnaps was einzig Wahres.
Manfred Brinkmann in 2354 Grauel schickt gleich vier Versuche:
Teilte dir Mammons Füllhorn Mangel zu,
Vergebens, du! hofftest auf Pegasusse;
Da Schuldenberge türmen sich im Nu,
Bleibt doch des großen Dunkelen Nähe dir am Schlusse.
Wart di dat stuur, fehlts pekuniär,
Löpt alltied achteran de Päär,
Hest nix as’n groten Hopen Schullen?
Schullst di mit Dunkelbeer gedulln!
*** 1. Preis! Glückwunsch, Herr Brinkmann! ***
Wenn’s Geld knapp ist und schwer zu greifen
Und auch dein Pferd ist schon gelaufen
und dir nichts übrig als ein Haufen
Schulden, mußt du’n Guinness reinpfeifen.
Bist du klamm und von der Rolle,
Und dein Pferd ist schlecht gerennt,
Scheiß auf Schulden, ausgeflennt,
Kipp dich mit Porter sternhagelvolle.
Seinen Begleitbrief schließt Herr Brinkmann mit den Worten „Ruf doch mal an!“ Würde ich ja nur zu gern, Manni, altes Haus, verbieten aber leider die Statuten.
Wolfgang Gerster aus 6333 Braunfels kommt folgendermaßen über:
Wird’s Geld dir knapp, und es kommt nichts rein,
Ist dein Pferd auch ferner gelaufen,
Wird ein Schuldenberg dein Haben sein,
Bleibt dein einziger Freund das Saufen.
Am weitesten hatte es der Beitrag von Anne Webler Millyard in Willowdale (Ontario), Kanada:
Wenns Geld fehlt, und wenn du pleite bist,
Und dein Roß kommt als letztes rein,
Wenn dein Konto voll in die roten schießt,
Ist dein bester Freund ein Stein.
Wobei man wissen muß, daß ein Stein das ist, was Nordamerikaner für das deutsche Wort für Bierhumpen halten. „Ein, zwei, dry, vier, lift your stei-hein and drink your bee-hee-heer“, singt der unvergessene Mario Lanza in „The Student Prince“, welches auf deutsch „Alt-Heidelberg“ heißt. Schönen Gruß und schönen Dank nach Willowdale und schönen Gruß nach Heidelberg. Und natürlich nach München 90, Grauel und Braunfels.
Und nun spielen wir was ganz anderes. In der Kinderbeilage der „Zeit“, der „taz”, las ich den Satz „Wenn aber Serbien sterbien soll, dann soll bitte auch Schlesien verwesien.“ Gezielte Länderbeschimpfung mit kleinen Fehlern heißt das neue Spiel. Spielen wir ein bißchen 1. Weltkrieg. Nix mehr mit „Ausländer raus!“ Nein: „Länder raus!“ Wenn schon, denn schon. Mir ist bisher spontan nur ein einziger Schmähvers eingefallen, aber der hat’s ganz schön in sich: Burkina Faso schaut zu tief ins Glaso. (Oder ist das zu happig? Sollte man vielleicht etwas entschärfen. Etwa so? -: Burkina Faso polkt noch in der Naso. Schon viel besser. Irgendwie sozialdemokratischer.)
Übersetzungen werden häufig als zwar notwendiger, aber lästiger Realisationsschritt angesehen. Falscher kann die Sicht fast nicht sein. Das Thema beginnt in der Kreation: Wenn für verschiedene Sprachen kreiert wird, dann muss die Kernidee in allen Sprachen funktionieren. In Frankreich beispielsweise bringt man nicht alles unter einen Hut, sondern unter ein Dach.
Wortspiele sind sehr, sehr schwierig zu übersetzen, Metaphern, kulturelle oder zeitgeschichtliche Bezüge eine Herausforderung. Damit soll nicht der möglichst platten Idee das Wort geredet werden, sondern dem Anerkennen, dass es häufig nicht ums Übersetzen, sondern ums Transkreieren geht. Diese Anerkennung soll sich finanziell ausdrücken (60 Cent pro übersetzte Zeile ist wohlgemeint ein Scherz, man kann das auch drastischer formulieren), sie soll sich zeitlich ausdrücken (für einen Claim oder eine Headlineserie 24 Stunden Lieferzeit zu geben, zeugt von Ignoranz) und sie soll sich kommunikativ ausdrücken: Wenn du willst, dass dein Text auch in anderen Sprachen funktioniert, briefe die Übersetzer sorgfältig und sprich mit ihnen. Ça vaut la peine.