Pflegt auch ein Illusionist seine Illusionen? Die junge Dame, die Harry Renó zur Mitarbeit auf der Bühne und für sein persönliches Wohlbefinden gewinnen konnte, gibt sich jedenfalls keiner Illusion hin und wird auch seine durchkreuzen, wenn sie sich entschließt, einen anderen Herrn zu begleiten. Dass dieser sich zwar dominant, aber auch großzügig zeigen wird, kommt ihrer Sorglosigkeit sehr entgegen. Zunächst folgt sie jedoch leichten Fußes ihrer Neugier und ihren Interessen. Sagt uns das was über die Vereinbarkeit von geschäftlichen mit emotionalen Interessen?
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Ein alter Klosterhof mit riesenhohen Pilastern aus grauem Tuffstein war so oft umgebaut worden, dass sich die Anlage nur noch einem detektivischen Blick nach einer Weile erschloß. In der Mitte dieses weitläufigen Gevierts erhob sich ein Gebäude als Kubus, auf dessen flachem Dach sich ein dichter Orangenhain befand; im dunklen Laub glühte es golden.
„So verrückt, ein Garten im ersten Stock. Ein hängender Garten wie für Semiramis, und so viele Bäume – ich möchte da rein, das ist ein richtiges Zauberwäldchen, frag die Wirtin; wir wollen da reingehen.“ Das sagte ein großes Mädchen mit dichter Mähne, die zu beiden Seiten wie eine Infantinnenperücke abstand und das Quadratische des Gesichtes betonte. Ihre Augen rollten, als sei sie mit dem Aushecken eines Vergnügens beschäftigt. Sie saß nackt auf einem Bidet und plätscherte mit den Händen, zwei paddelnden Entenfüßen; das Pelzchen war triefnass und erschien sehr dunkel gegen die helle Haut. Ihre Worte waren an den Mann gerichtet, der im angrenzenden Zimmer auf dem Bett lag und rauchte, Harry Renó, der sich nach seinem Auftritt am Vorabend ausschlief, in einem eigentlich lärmenden Stadtviertel, aber in diesen Hof drang kaum ein Laut.
„Sag nicht Zauberwald, das ist nicht professionell. Du weißt doch, Zauberei gibt’s nicht.“
„Ich bin ja auch nicht professionell – du im übrigen auch nicht, denn unseren Trick kannst du in jeder Stadt nur ein mal vorführen, dann heißt es abreisen, das ist doch nicht sehr ökonomisch. Was machst du, wenn du mal für einen zweiten Abend verpflichtet wirst?“
„Ich laß mir was einfallen.“ Auf der Bühne hatte er silbrig-eisig ausgesehen, ein Kunstmensch, jetzt, im Bett, den Kopf auf dem weißen Kissen, war sein Teint grau, die Augen farblos, das Gesicht wie ein zerknautschter Gummiball, so wie der Schlaf die meisten Menschen verwandelt; erst nach einem Aufenthalt im Badezimmer finden sie zu ihrer Tagesverfassung zurück.
Das Mädchen, auf dem Bidet wie ein Kind auf dem Schaukelpferd, war hingegen frisch und wach, bestens gelaunt, in Eroberungsstimmung. Sie verweilte in Gedanken noch bei dem Garten, den sie vor Augen hatte. Da standen auch alte Eisenstühle im Schatten des Orangendunkels; trank dort vielleicht jemand nachmittags Tee, öffnete sich hinter den Bäumen der Zugang zu einer geheimen Welt?
„Laß bloß die Wirtin in Ruhe“, sagte Harry Renó, „deine Sonderwünsche haben sie immer wütender gemacht: noch ein Kissen, noch eine Decke, noch ein Tee, eine Nagelschere, ein Bügeleisen …“
„Mir scheint, du reist nicht oft mit Frauen. Frauen brauchen Extras. Ich brauche aber noch etwas ganz anderes als ein zweites Kissen – du weißt schon, was.“
„Du willst Geld, aber du kriegst kein Geld, jedenfalls jetzt nicht. Die Abendkasse ist an meinen Agenten gegangen, abzüglich Hotel und Reisekosten immerhin für zwei – was willst du? Du siehst Neapel, da warst du noch nie, ist doch auch ein Honorar, und am Nachmittag geht’s weiter nach Bari, dann nach Taranto, dann Reggio, dann Messina, dann Palermo. Ist das etwa keine schöne Reise?“
Sie lachte.
„So, wie du rechnest, kann ich das auch. Wenn du mich nicht beteiligst, dann bin ich weg.“ Das war keinesfalls drohend gesagt, eher spielerisch, in ihren Gedanken war sie bei dem Garten dort drüben. Wie kam eine solche Konstruktion zustande? Das Haus lag an einem Berghang – hatte man vielleicht den Boden im Hofgeviert abgetragen und nur den Garten ausgelassen, der dabei auf einmal in die Höhe gewachsen war?
„Du kannst gar nicht weg.“ Harry Renó gähnte. „Ich habe deinen Paß, und du hast kein Geld, was willst du machen? Und außerdem liebst du mich, stimmt’s?“
Daß sie in seiner Hand war, darauf vertraute der Mann, und er ahnte wohl auch, daß ein tägliches Gezerre um das Geld sie nicht dauerhaft verstimmte, da war sie so nüchtern wie er. Was er nicht ahnte, war, wie wenig sie es mochte, wenn er von ihrer Verliebtheit sprach; das war etwas, was ihr Geheimnis bleiben mußte, das ging ihn gar nichts an, und wenn er es doch entdeckt zu haben meinte, dann hatte er das klugerweise vor ihr zu verbergen. Jedenfalls sich niemals darauf berufen! Ein intelligenter, witziger Mann, ein unbeherrschbarer Mann, keiner Beeinflussung zugänglich, im täglichen Kampf nie die Nerven verlierend – und zugleich doch so taktlos und dumm. Zu dumm, um eine Antwort zu verdienen. Wie lächerlich er aussah mit dem feinmaschigen schwarzen Haarnetz, das die Lockenreihen seiner weißblonden Frisur über die Nacht hinweg konservierte; er band es sich stets schon vor ihrer nächtlichen Umarmung um. Wenn er sich, nach getanem Werk, von ihr abwandte und ihr den umhüllten Hinterkopf zeigte, meinte sie, in ein riesenhaftes Fliegenauge neben sich auf dem Kissen zu blicken.
Ihre Laune war nur kurz getrübt. Zur Fortsetzung der Unterhaltung fehlte ihr dennoch die Lust. Genüßlich, als schaute ein ganzes Theater ihr zu, rollte sie die Strümpfe über die Beine, den Fuß nach vorn stellend, dabei durchaus im Bewußtsein, daß Reno jedenfalls sie beobachtete, aber ohne daß dies ihre soeben erworbene Gleichgültigkeit erschüttert hätte.
„Ich gehe ein bißchen spazieren. Wir treffen uns wieder, wenn du fertig bist, hier oder in der Bar gegenüber.“ Einen kleinen Schmerz verspürte sie bei dem Gedanken, sich von dem Anblick des verborgenen Gartens losreißen zu müssen, aber das wäre später ohnehin fällig gewesen.
Im Vorraum kam sie an dem Tischchen vorbei, wo die Wirtin dieser Etagenpension sich die Karten legte. Nachdem Harry Renó sie noch einmal daran erinnert hatte, wie sehr diese Frau sie verabscheute, überlegte sie kurz, ob sie nicht doch einen Auftrag für sie habe; die Wirtin sah sie krötenhaft-halslos von unten an, aber es machte auch Spaß, den Ärger, der in der Frau schon aufstieg, ins Leere laufen zu lassen. „Ich hatte noch eine Bitte an Sie, aber ich habe sie vergessen.“
Die Frau nahm den Schlag unbewegt. „Wann reisen Sie ab?“
„Das müssen Sie Herrn Renó fragen.“ Mit demselben entschiedenen Schritt wie auf der Bühne ging sie an dem Tischchen vorbei und betrat das hallende Treppenhaus.
Draußen ein neapolitanischer Herbsttag in der mildesten, üppigsten Form, frühlingshaft warm, aber ohne die Aufbruchsstimmung des Frühlings. Im Herbst erreichte die Stadt ihren Idealzustand, nichts mußte sich mehr ändern und entwickeln, alles hätte jetzt auf immer so bleiben dürfen. Weiche Luft, weiches Licht, das die sonnenverbrannten braunen Fassaden in ihrer Fleckigkeit warm erstrahlen ließ. Während sie sich langsam von der Pension entfernte, fühlte sie eine kleine Unruhe in sich, als begehe sie einen Fehler – es war der „Hängende Garten“, der sie zurückzurufen schien, als ob sie ihn noch nicht genügend betrachtet und in sich aufgenommen habe: als sei da etwas unerledigt geblieben. Plötzlich wurde ihr klar, warum ihre Gedanken sich von dieser höchst ungewöhnlichen Anlage nicht lösen konnten: Sie hatte sie bereits betreten, heute nacht im Traum, ja tatsächlich, sie war darin gewesen.
Das Gebäude, das von dem Orangenhain bekrönt wurde, ein in zeitloser Baufälligkeit ruhender Block, hatte große Tore, die von schief in den Angeln hängenden Flügeltüren geschlossen wurden, Remisen, Garagen, Werkstätten mochten sich dahinter verbergen. Für sie stand im Traum nur fest, daß sie nicht durch eines dieser Tore oder über eine Treppe in den Garten gelangt war – nicht umständlich von der Pension in den Hof hinunter und dann wieder hinauf, sondern pfeilgerade, der Bahn ihres Blickes und der Bewegung ihrer Wünsche folgend, die vom Schlafzimmerfenster hinüber auf das Orangenwäldchen gerichtet waren. Im Nu hatte sie vor den rostigen Stühlen gestanden, die vor dem Hain zum Verweilen einluden. Aber von dort aus ging es weiter, erst jetzt tat sich das Wunder des Gartens auf. Zwischen den dicht nebeneinander gepflanzten Orangenbäumen gab es Leben. Dieses Dunkel besaß Anziehungskraft, es zog sie hinein. Und nach wenigen Schritten schon war der weite Klosterhof vergessen.
Die Liebe im Betriebe ist ein altes und ein breites Thema. Und ein kompliziertes. Gerade in Agenturen und Kommunikationsabteilungen begegnet man den Kolleginnen und Kollegen fast zwangsläufig auf der emotionalen Ebene – schließlich sind Gefühle im Zentrum unserer Arbeit. (Wie sagt der Rektor? Wir wollen Menschen nicht nur überzeugen, wir wollen sie gewinnen.) Zu- und Abneigung lässt sich nicht rational steuern, und manche Dinge entwickeln sich. So ist das.
Im Übrigen: Meist wissen die Kolleginnen und Kollegen früher Bescheid als du selbst.