Es kann eine beunruhigende, kaum auszuhaltende Gefühlslage hervorrufen, wenn einen ein anderes Wesen einfach durch sein Vorhandensein in süße Verwirrung stürzt – damit geht es Rumo, dem Wolpertinger, nicht anders als uns. Ihm ist klar, dass er Eindruck schinden sollte bei der reizenden Person, um sie zu gewinnen. Im Folgenden holt er sich Rat bei einem wohlmeinenden Freund und lernt einiges über die Präsentation von Einzigartigkeit.
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„Ach Ornt, ganz nebenbei, du kennst ja Urs, meinen Stadtfreund, also hat da ein Problem mit einem Mädchen …“
Ornt stopfte sich langsam seine Pfeife und hörte zu. Rumo sprach schnell und aufgeregt. Er erzählte von hinten nach vorne, sagte mehrmals „ich“ statt „Urs“ und hatte einen derart trockenen Hals, daß seine Worte nur gekrächzt hervorkamen.
„Mnnjaaa, weißt du, ich bin der Letzte, der irgend jemand einen Ratschlag erteilen möchte, aber deinem Freund, diesem, äh …“
„Urs!“
„Äh, Urs, dem würde ich erst mal folgendes sagen: Wann hast du letzten Mal für dieses Mädchen etwas wirklich Außergewöhnliches getan?“
„Was meinst du damit? – Ich meine, ich könnte mir vorstellen, daß, äh…“
„Urs.“
„Ja, daß Urs diese Frage stellen würde.“
„Was für ein Mädchen etwas Außergewöhnliches ist? Nun, zum Beispiel ein Diamant, den man den Pranken eines Riesen entrungen hat. Das noch pumpende Herz eines Werwolfs in einer goldenen Schale. Solche Sachen.“
„Was? Woher soll ich … Wo soll Urs so was herkriegen? Auf so was sind Mädchen scharf?“
„Es geht nicht darum, was es ist. Es kann ein alter Ziegelstein sein. Eine verrostete Türklinke. Es geht um den Moment der Gefahr, der damit verbunden ist.“
Rumo überlegte. „Das verstehe ich nicht – äh, würde Urs wahrscheinlich jetzt sagen.“
„Jetzt hör endlich mit dem Urs-Quatsch auf! Ganz Wolperting tratschte schon über dich und das Mädchen. Du bist in sie verknallt, Kleiner, das steht sogar auf deinem Arm. Rala steht da. Man sieht es, wenn der Wind ungünstig steht.“
Rumo griff an seinen Bizeps.
Ornt grinste. „Ich weiß nicht, ob du es mitbekommen hast, aber in der letzten Zeit werden die besten Witze in dieser Stadt auf deine Kosten gemacht.“
„Das ist mir nicht entgangen“, knurrte Rumo.
„Die Sache ist doch die: Sie hat bei dir was gut. Sie hat dir das Leben gerettet. Da kannst du nicht einfach anspaziert kommen und ihr einen Antrag machen. Abgesehen davon, daß du dich das ja sowieso nicht traust.“
Wenn Rumo geahnt hätte, daß dieses Gespräch so unangenehm werden könnte, hätte er sich nicht darauf eingelassen. Urs und seine tollen Ideen! Rumo konnte es kaum abwarten, Wolperting bei Nacht und Nebel zu verlassen.
„In dieser Situation kann dir nur eins helfen …“, sagte Ornt.
„Es gibt eine Lösung?“
„Ja. Du brauchst einen Dreifachen Fetisch.“
„Einen was?“
„Einen dreifachen Zauber, um ihr Herz zu gewinnen. Deine Schuld abzuarbeiten. Und dein Ansehen in der Stadt wiederherzustellen. Drei Probleme. Dafür braucht man einen dreifachen Fetisch.“ Ornt hielt drei Finger hoch.
„Ich verstehe immer noch nicht, worauf du hinauswillst.“
„Paß auf: Sagen wir mal – ein goldener Ring. Das wäre ein einfacher Liebesfetisch. Ist natürlich zu wenig. Also: Ein goldener Ring, den du selber geschmiedet hast – das wäre schon mal persönlicher. Also ein zweifacher Liebesfetisch. Aber immer noch zu unspektakulär. Jetzt kommt’s: Ein Ring, von dir selbst aus einem Stück Gold geschmiedet, das du, sagen wir mal, den Klauen einer siebenköpfigen Hydra entwunden hast. Das wäre ein dreifacher Liebesfetisch: kostbar, persönlich, und unter Einsatz des Lebens errungen.“
„Du meinst, ich muß eine siebenköpfige Hydra finden?“
„War doch nur ein Beispiel. Hier in der Nähe gibt’s keine Hydra. Es muß auch kein Ring sein. Ein Diamant, eine rostige Türklinke – das ist egal, wenn du es nur unter Einsatz deines Lebens erworben hast.“
„Ich soll Rala eine Türklinke schenken?“
Ornt sah Rumo finster an. „Junge, du bist wirklich schwer von Begriff.“
Rumo senkte den Kopf.
„Ich meine, es sollte etwas damit zu tun haben, was du besonders gut kannst.“
„Kämpfen?“
„Nein – schnitzen.“
Rumo überlegte. „Was soll ich denn schnitzen?“
„Ich wüsste was.“
„Was denn? Sag schon!“
Ornt rāusperte sich. „Eine selbstgeschnitzte Schatulle aus dem Holz der Nurnenwaldeiche. Mit dem Blatt einer Nurne darin.“
Rumo wußte, daß sich in der Nähe von Wolperting der Nurnenwald befand. Viel mehr war ihm darüber nicht bekannt, außer daß dort die legendäre Schlacht stattgefunden hatte, von der Smeik ihm erzählt hatte.
„Das Holz der Nurnenwaldeiche gilt unter Schreinern als das beste Holz Zamoniens. Es ist auch das kostbarste, weil es nur ganz wenigen Wagemutigen gelungen ist, etwas davon zu erbeuten. Denn man sagt, daß die Eiche bewacht wird von den furchtbaren Nurnen.“
„Was sind Nurnen?“
„Keine Ahnung. Blattwesen. Holzgespenster. Keiner weiß es genau. Man sagt, Nurnenblätter seien rot wie Blut. Die einen behaupten, daß sie Insekten aus Holz sind. Die anderen reden von fleischfressenden Pflanzen, die laufen können.“ Ornt lachte gequält. „Man sagt, sie hätten rotes Blut statt Harz in sich. Auf jeden Fall soll der Nurnenwald von ihnen nur so wimmeln. Deswegen betritt ihn kaum jemand, und daher ist ein Stück aus der Nurnenwaldeiche kostbarer als jeder Diamant.“
„Ich verstehe.“
„Wenn du dich jetzt aufmachst und mit deinen Fähigkeiten aus diesem Holz eine Schatulle schnitzt, dann wäre das schon ein Geschenk ganz besonderer Art. Aber wenn du es auch noch schaffen würdest, ein Blatt einer Nurne zu erbeuten und hineinzulegen, dann wüßte jeder, daß du dieses Geschenk unter Einsatz deines Lebens erworben hast. Das ist mindestens so kostbar mit eine Schatulle aus Gold, gefüllt mit Diamanten, die du einer Werwolfarmee entrungen hast.“
Rumo war begeistert. Ornt war wirklich ein begnadeter Ratgeber. „Wie lange brauche ich zum Nurnenwald?“
„Ein paar Tage. Paß auf: Während du in den Wald ziehst, um das Holz holen, werde ich ein bißchen tratschen und verbreiten, was du vorhast. Es wird nicht lange dauern, und Rala wird davon erfahren. Wenn sie wirklich was für dich übrighat, wird sie rasend vor Angst um dich sein. Und dann kommst du zurück, im Triumphzug, und du präsentierst ihr – tadaa! – die Schatulle. Das wird sie vom Hocker hauen.“
Rumo sprang auf. „So machen wir das!“ rief er.
Er umarmte Ornt, winkte in der Tür noch einmal dramatisch zum Abschied – und war verschwunden.
Ornt blieb noch eine Weile wie betäubt sitzen. Wie immer, wenn man ihn als wandelndes Orakel befragt hatte, war er in eine Art Rauschzustand gefallen Dann sprudelten die Ideen nur so aus ihm hervor, gefolgt von detaillierten Plänen, wie man sie durchführen konnte. Gewöhnlich schloß sich dem, nach einer kurzen Ruhepause, eine Phase der Ernüchterung an, in der Ornt versuchte, sich daran zu erinnern, welchen Ratschlag er erteilt hatte.
Er hatte Rumo geraten, in den Nurnenwald zu gehen. Er hatte Rumo geraten, ein Stück aus der Nurnenwaldeiche zu schneiden. Er hatte Rumo geraten, daraus eine Schatulle zu schnitzen und ein Nurnenblatt hineinzulegen.
Ornt sprang auf. Hatte er den Verstand verloren? Genausogut hätte er Rumo empfehlen können, sich mit einem Stein um den Hals in die Wolper zu stürzen.
Ornt La Okro lief hinaus in die Nacht.
„Rumo!“ rief er durch die leeren Straßen. „Warte! Rumo! Wo bist du?“
Aber Rumo war schon nicht mehr in der Stadt.
Ein guter Text kommt einem dreifachen Fetisch nahe, denn: Texte schreiben ist eine Knochenarbeit. Man schindet sich selbst bis aufs Blut und leider selten Eindruck. Adrian Holmes, der in den 80ern und 90ern wundervolle Kampagnen für The Economist, Heineken oder Hamlet geprägt hat, meinte zum Thema Schreiben: „Bei mir ist es eher ein Hauen und Stechen an einer unnachgiebigen Felswand, wobei nur gelegentlich ein Nugget herauskommt. Nach fast zwanzig Jahren des Schreibens wäre es schön zu denken, dass die Dinge etwas einfacher geworden sind. Aber das ist es nicht.“
Tja, wer, um Himmels Willen, hat dir nur geraten, ausgerechnet diesen Beruf auszuwählen?