„Hitze“ von Bill Buford (2008)

In diesem Buch schreibt ein Journalist über seine Erfahrungen in verschiedenen Küchen bekannter Restaurants, wo er jeweils als Trainee arbeitete, um Kochen zu lernen. Im ausgesuchten Text geht es um Pasta. Interessant, welche Fragen einen Koch da umtreiben können! Es ist wie in anderen Metiers eben auch: Viel Sorgfalt, Können, Erfahrung, Übung und Gespür sind vonnöten, bevor der Kenner zufrieden ist. Und ich hab gedacht: Nudeln kann doch jeder. Das werde ich nie, nie wieder tun!

Lesedauer etwa zwölf Minuten

Ich rief sie an. „Miriam“, sagte ich, „ich will bei dir arbeiten.“ 
„Certo“, sagte sie. „Ruf mich an, wenn du das nächste Mal in Italien bist, und schau mal nachmittags vorbei.“ 
Das war schwierig. Ich dachte nicht an einen Nachmittag, an dem ich zufällig in der Gegend war, sondern, wie Sie sich denken können, an zwei Wochen. Einen Monat. Oder länger: etwas Planmäßiges, mit Unterkunft und allem, was zu einer Lehrlingszeit gehört. 
Sie geriet in Panik. „Wovon redest du überhaupt? Einen Monat? Ich lasse nie jemanden in meine Küche – niemals.“ (Sie machte ein komisches Geräusch. Hatte sie Schwierigkeiten mit dem Atmen?) „Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Bist du verrückt?“ Sie war sehr zornig. 
Dieser Plan funktionierte nicht. Aber direkt in der Woche danach hatte ich eine weitere Gelegenheit. Die Gelegenheit war ein New York-Besuch von Valeria Piccini, der Küchenchefin des Da Caino, von vielen als das beste Restaurant Italiens betrachtet, in Montemerano, einer Bergstadt in der Maremma. Alain Ducasse – damals der berühmteste französische Küchenchef – hatte Valerie als Gastküchenchefin in sein New Yorker Restaurant eingeladen. Ich wollte sie kennenlernen und schaffte es auch, bei diesem Event zugegen zu sein. 
Für Valeria war dieser Abend ein einzige Katastrophe. Die Küche war falsch. Es waren zu viele Leute – sie waren herzlos und zu tüchtig –, und sie war gezwungen, Essen zuzubereiten, das sie nicht berührt hatte („Ich muss jedes Gericht berühren“), und auf so unpersönlichen Tellern anzurichten, dass sie es nicht ertragen konnte, sie anzuschauen („Ich musste meine Augen schließen“). Die Pasta sei eine Katastrophe, verkündete sie, als sie am Ende des Mahls erschien, den Tränen nahe. Sie entschuldigte sich bei den Italienern (die wissend nickten, ohne den leisesten Schimmer zu haben, was da falsch war; ich hatte mein Gericht verschlungen in einem Zustand hirnloser Befriedigung) und brach auf dem Stuhl neben mir zusammen. Sie konnte nicht verstehen, warum alles schiefgelaufen war. Sie habe den Teig auf die übliche Art zubereitet, erklärte sie (mir, der Zimmerdecke, keinem): soundsoviel Eier, soundsoviel Mehl, aber das Ergebnis sei falsch. Sie warf ihn weg. Vielleicht hatte sie etwas vergessen. Sie machte ihn erneut – soundsoviel Eier, soundsoviel Mehl –, aber er war immer noch nicht richtig. »Ich war ganz durcheinander. Wie kann das sein?« Inzwischen kamen die Bestellungen. „Ich will zu Bett gehen. Ich will zurück in mein Hotel und mich verstecken, ich schäme mich so.“ Sie hielt inne, verzweifelt. Körperlich ähnelte sie Miriam – die gebogene, maskuline Nase, das breite Gesicht, der weiße Küchenchefhut –, aber sie war jünger (fünfundvierzig; Miriam war zweiundsechzig). Genau wie Miriam hatte sie immer nur in einer einzigen Küche gearbeitet (ihrer eigenen), im selben Restaurant (ihrem eigenen) und in ihrer eigenen Stadt. Ich weiß noch, dass ich mir dachte: Leute wie diese beiden gibt es in New York nicht. 
„War es das Mehl?“ fragte sie leise. „Die Leute daheim haben mir gesagt, ich solle mein eigenes mitnehmen. Ich antwortete: Wovon redet ihr überhaupt? Das ist das beste Restaurant in New York. Die Eier? Die Leute sagten mir, ich solle Eier mitnehmen. Vertraut mir, sagte ich. Die haben Hühner in Amerika.“ 
Ich hörte mir diesen traurigen Monolog an, restlos fasziniert. (Genaugenommen stimmt das nicht: Mit einem Ohr hörte ich zu, verständnislos, mit dem anderen lauschte ich meiner Frau Jessica, die fließend Italienisch spricht und für mich übersetzte.) Der Monolog bestätigte alles, was ich über Pasta gedacht hatte. Es war so simpel und doch so schwierig. Einfache Zutaten (Mehl, Eier) und ein einfacher Vorgang (einen Teig machen), und trotzdem funktionierte es nicht, selbst bei einer großen Küchenchefin, und sie hatte keine Ahnung, warum. 
„Lass mich für dich arbeiten!“ platzte es auf englisch aus mir heraus. 
Sie sah mich verdutzt an. 
„Lass mich für dich arbeiten!“ wiederholte ich. Ich war sehr aufgeregt. „Ich kann morgen losfahren!“ 
Sie war verwirrt, und ich konnte sehen, dass meine Botschaft lange brauchte, um zu ihr durchzudringen. Vielleicht war meine begeisterte amerikanische Zielstrebigkeit der strategisch falsche Weg. Genauer gesagt: Sobald meine Botschaft endlich angekommen war, sah ich, dass sie meine Begeisterung keineswegs erwiderte. Sie richtete sich auf und erinnerte sich offenbar, wo sie war (ich muss ihr vorgekommen sein wie ein Fremder mit der unerklärlichen Fähigkeit, sich über Teller mit vermasselten Gerichten zu begeistern). „Oh“, sagte sie vorsichtig auf englisch, „du willst Praktikant werden?“ 
„Ja!“ sagte ich. „Ja! Ja!“ „Ich fürchte, das zu arrangieren wird sehr schwierig sein.“ 
Dieser Plan funktionierte also auch nicht. Warum? Ich weiß nicht, warum. Weil sie keine Amerikaner mochte? Weil sie mich nicht mochte? Vielleicht war sie eine mürrische italienische Gebirgsbewohnerin, misstrauisch Fremden gegenüber? Oder war es, weil sie ihre Pastageheimnisse nicht teilen wollte? Das war es offensichtlich, obwohl mir nachträglich der Verdacht kam, dass es da auch noch einen anderen Grund gegeben haben könnte.

Das Indiz ist das Wort „Praktikant“. Italien steckt in einer Praktikantenkrise. Küchenchefs haben Listen von Leuten, die ihre Sklaven sein wollen. Man möchte meinen, dass eine solche Situation begrüßenswert sein müsste – warum Geld für Arbeit ausgeben, wenn du sie umsonst kriegen kannst? –, aber es ist ein Problem. Die meisten Sklaven sind Japaner, daneben sind fast alle anderen Nationalitäten vertreten, außer der französischen. Sklaverei ist so im Trend, dass man jetzt eine Genehmigung braucht, um Sklave zu werden: Es gibt Sklavenverordnungen, Sklavenvisa, ein Sklavenregister und einen Sklavenstempel im Pass, den man nur kriegt, wenn man bei der italienischen Einwanderungsbehörde einen Antrag stellt, unterstützt von dem Antrag eines Restaurants, der das Versprechen enthält, Sie für die Arbeit nicht zu bezahlen, zu der man Sie verpflichtet. (Eine seltsame Entwicklung in der Geschichte der Arbeitsbeziehungen in den Küchen.) Wie ich lange nicht wusste, hatte sich Mark Barrett – der in vieler Hinsicht mein wackeres Vorbild war – außerhalb des Gesetzes bewegt. Die Tatsache, dass er keines von diesen Ich-bin-dein-Sklave-zahl-mir-nichts-Visa hatte, bedeutete, dass ihn das Restaurant, bei dem er sich verpflichtet hatte, eigentlich gar nicht ausnützen durfte. Mark war es gelungen, etwa vier Wochen ohne Bezahlung zu arbeiten, bevor man ihm schließlich sagte, er könne nach Hause gehen. Seine New Yorker Freunde waren nicht bereit, ihn wieder will-kommen zu heißen. Wie einer von ihnen sagte, „mussten sie sich erst noch von seiner Abschiedsfeier erholen“. („Ups“, meinte Mario. „Da hat sich wohl einiges geändert, seit ich dort gearbeitet habe.“) 

Eines Tages saß ich mit Mario und Mark zusammen. Mark fühlte sich elend, versuchte immer noch herauszufinden, wie er ein Gesetz umgehen könnte, das er nicht verstand, um nach Italien zurückzukehren und für Leute ohne Lohn zu arbeiten, als Mario eine Eingebung hatte. 
„Warum arbeitest du nicht für Gianni und Betta?“ verkündete er. „Gianni kennt jeden, er wird das mit dem Visum regeln. Du musst nur ein paar Monate für ihn arbeiten, und dafür wird er dann regeln, dass du jahrelang bleiben kannst.“
Mark ließ sich das durch den Kopf gehen. Vielleicht könnte Gianni das mit dem Visum regeln. Aber als Mario für Gianni und Betta gearbeitet hatte, hatten sie das La Volta geführt, ein ernst zu nehmendes Restaurant mit ernsthaften Zielen. Jetzt hatten sie eine Pizzeria. Warum sollte Mark nach Italien reisen, um in einer Pizzeria zu arbeiten? 
„Warum?“ fragte Mario mit übertriebenem Erstaunen. „Weil das eine Pizzeria ist, die Pizzen und Pasta serviert, und weil Betta die Pasta macht.“ 
Genau deshalb war ich in Porretta. Und das war auch der Grund, warum ich mich so für das Ei interessierte. Denn an meinem ersten Morgen, als ich Betta bei der Zubereitung des Teigs beobachtete, sah ich, dass ein Ei in der modernen Pasta die wichtigste Zutat war, vorausgesetzt, es war ein sehr gutes Ei, was sich in dem Moment herausstellte (oder auch nicht), in dem man es aufschlug. Wenn das Eiweiß flüssig war, wusstest du, dass das Ei von einer Legebatteriehenne stammte, die in einen Käfig eingesperrt war, und der Pastateig, den du damit machtest, würde klebrig und schwierig zu verarbeiten sein. Genau wie die unglückselige Masse, die Betta eines Abends produzierte, nachdem Gianni eingeschlafen war, weil er zum Lunch zuviel getrunken hatte und deshalb keine Eier mehr in dem guten Laden hatte besorgen können, bevor dieser zumachte, und in die nächste Stadt hatte fahren müssen, um in dem cattivo alimentari, dem ekligen Laden, ein Dutzend dieses Massenprodukts zu kaufen. Der Dotter war auch eine Offenbarung. Die aus dem ekligen Laden waren blassgelb, wie diejenigen, die die meisten von uns ihr ganzes Leben lang als Rührei zubereitet haben. Aber ein anständiger Dotter hat eine andere Farbe und wird auf Italienisch immer noch il rosso genannt, der Rote. Das stammt aus einer Zeit, in der man Eier nur im Frühling und Sommer aß, der Eiersaison, und die kamen von weizengefütterten, nicht nur freilaufenden, sondern halbwilden Hühnern, die einen Dotter produzierten, der mehr rot als gelb war und eine leuchtende, ursprüngliche Intensität hatte, die man heute nur noch sehen kann, wenn man das Glück hat, seine Eier nicht im Supermarkt, sondern auf einem italienischen Markt oder einem kleinen Bauernhof zu kaufen. 
Bettas Pastarezept schrieb ein Ei auf jedes Etto Allzweckmehl vor. Ein Etto sind hundert Gramm, eins dieser italienischen Maße, die man als » mittel bis groß« übersetzen könnte. Sie müssen kein Wasser zugeben, da das Ei ausreichend Flüssigkeit haben sollte (falls Sie ein gutes gefunden haben). Sie brauchen keinen Aromaverstärker wie Salz oder Olivenöl, denn all das Aroma, das Sie brauchen, ist, ebenfalls, bereits im Ei (falls Sie ein gutes finden konnten). Im Babbo kompensierte Mario seine Unfähigkeit, eine zuverlässige Quelle für halbwilde, echte Kleine-Farm-Eier zu finden, indem er die Dotter, die er kriegen konnte, verdreifachte: Für jedes Pfund Mehl (nennen Sie’s fünf Etti) benutzte er drei Eier plus acht Dotter, ganz zu schweigen von Salz, einigen Tropfen Olivenöl und ein bisschen Wasser. (Dieses Rezept finden Sie nicht im Babbo-Kochbuch. Es war, bis zu diesem Augenblick, ein Küchengeheimnis.) War Marios dreifach gedotterte Pasta besser als die von Betta? Nein, sie war anders, und beide sind gut. Aber Bettas ist die, an die ich mich erinnern kann: ein Ei, ein Etto. Außerdem gefiel mir die Schlichtheit eines Rezepts, das völlig abhängig ist von der Güte einer Zutat: ein gutes Ei, ein Etto.
Ich hatte es so eilig, nach Porretta zu kommen, weil ich dort ankommen wollte, bevor das Klassenzimmer zu voll war. Ich bin mir nicht sicher, warum ich so in Eile war. Betta war es nicht. Als Mark eintraf, etwa zehn Tage nach mir, hatte Betta mir endlich erlaubt, den Teig anzufassen. Ich durfte ihn kneten. Bis dahin hatte ich nur zu geschaut. 
„Zuschauen ist gut“, sagte sie. „So hab ich das als Kind gelernt: Stunde um Stunde habe ich meinen Tanten zugeschaut.“ Das war eine vertraute Lektion, aber wie lange zuschauen musste ich denn noch? „Als Mario hier war, war er nicht daran interessiert zuzuschauen. Er wollte sofort Pasta machen. Jeden Morgen fragte er: ,Kann ich jetzt die Pasta machen? Kann ich? Kann ich? Kann ich?‘“ Sie schnaubte vor Zorn, als wolle sie sagen: Wie kann er Pasta machen, ohne sich die Hände der Frauen genau angeschaut zu haben, die das seit Jahrzehnten machen? 
Ich schnaubte auch, nur um nett zu sein, bis mir einfiel, warum ich da war. (Diese Unterhaltung bestätigte meinen Verdacht einer Verschwörung: Sie wollten nicht wirklich, dass wir lernten, wie das ging.) 
Aber selbst so war das Kneten per Hand nicht uninteressant. Im Babbo wurde das nicht getan, weil dort der Teig von einer Maschine gerührt wurde; „fünfundvierzig Minuten lang“, prahlte Mario eines Tages mir gegenüber, viel länger als anderswo, »um mehr Gluten herauszuziehen« (eine Metapher, die die Glutenproteine zu einer Art Gartenschnecken machte, die erschienen, wenn keiner hin schaute). In Wahrheit wurde der Teig, ohne dass Mario es ahnte, nur zehn Minuten gerührt, was, da bin ich mir sicher, absolut ausreichend war, und Alejandro sah mich an, als wäre ich ein Irrer, als ich fragte, ob er vielleicht noch eine halbe Stunde mehr brauche. 
Für mich war allein schon das Kneten mit der Hand eine Rechtfertigung für meine Reise nach Italien: den Teig unter dem Gewicht meiner Hand walken, ihn halbieren, wieder walken, ihn leicht wärmen mit der Hitze meiner Haut, mit jeder Wiederholung strecken. Brotbäcker kennen diesen Augenblick und werden ganz poetisch, wenn sie ihre taktile Sinnlichkeit schildern. Der Teig wird langsam glänzend und noch geschmeidiger, dehnbarer, just wenn sich die Weizenproteine selbst dehnen, und nach ein paar Minuten kann man tatsächlich riechen, wie die Glutene zusammenkommen, ein aufregend duftendes Parfüm. Während eines lyrischen Anfalls hielt ich es für einen Backofen am hinteren Ende meiner Erinnerung. Die längste Zeit waren Brot und Pasta mit Wasser gemacht worden. Jetzt benutzen die Pastamacher stattdessen ein Ei. Und für mich war die quälende Frage: Seit wann? 

Einfachheit ist das Resultat von Verständnis, Weglassen und viel Arbeit. Ungefähres, Unklares, Unbestimmtes und Wolkiges deutet auf wenig Denkarbeit hin. Neben Marketing und HR sind in der allgemeinen Wahrnehmung auch Rezensenten und Kritiker jeglicher Gattung Produzenten von verbalem Bullshit oder verstehst du Sätze wie den folgenden:
„Er ergründet die Pfade seiner Identität, sucht nach persönlichen Artefakten und setzt sie in einen neuen Kontext.“
Wird damit ein Gericht, eine Skulptur oder ein Buch beschrieben?
Wir können es nicht wissen. Aber was wir wissen: Einfachheit entsteht durch Verständnis, Weglassen und viel Arbeit.