Nicht nur im Privaten wartet das Leben immer wieder mit neuen Herausforderungen auf. Auch die berufliche Entwicklung fordert Entscheidungen, Willensstärke und gelegentlich Tribute. Im heutigen Ausschnitt geht es auch um die Vermittlungsversuche, die Serge als Karrierestarthilfe für seinen Neffen Victor unternimmt. Dieser ruft seinen Onkel an, der sich gerade beim Abendessen am Rande einer Reise mit seiner Tochter Josephine und seinen beiden Geschwistern befindet. Das Kleeblatt besucht die Auschwitzgedenkstätte und unterwegs prallen immer wieder die unterschiedlichen Temperamente und Ansichten aufeinander. Jetzt aber erst mal Serge und Victor.
Lesedauer dreieinhalb Minuten
„Was ist eigentlich aus den Fouérés geworden?“, frage ich.
„Die altern gemütlich vor sich hin“, antwortet Serge. „Sie haben sich einen japanischen Hund angeschafft. Am Anfang haben sie ihn in einem Wägelchen herumkutschiert, damit er sich nichts an seinen Pfötchen tut.“
„Das ist süß.“, sagt Jo.
„Wegen dem Hund nennen sie sich jetzt gegenseitig Papa und Mama. Da wird Mama aber böse sein, nicht aufs Sofa, hat Papa gesagt.“
„Ist doch ihr gutes Recht“, sagt Nana.
„Absolut.“
„Die Leute sollen doch leben, wie sie wollen.“
„Ich behaupte ja gar nichts anderes.“
Mitten beim Abendessen kriegt Serge einen Anruf von Victor.
„Ah, da ist er ja! … Victor! … Du hast es also gesehen? …“
Nichts hat Victor gesehen. Serge gibt es uns zu verstehen. Aufgeräumt macht er sich bereit, die gute Nachricht zu verkünden.
„Gut. Also, Alterchen, die Sache läuft, du hast diesen Sommer eine Stelle in einem Fünf-Sterne-Laden … Aber ja! … Wenn du mal deine Mails lesen würdest, dann wüsstest du, wovon ich spreche … Du hattest zu deiner Mutter gesagt, der Küchenchef vom Walser hätte dir nicht geantwortet, ich hab die Sache in die Hand genommen und den Typen auf Trab gebracht, und er nimmt dich! Jetzt beeilst du dich ein bisschen und antwortest und bedankst dich. Und eigentlich kannst du dich auch bei mir bedanken … In Polen. In Auschwitz … Wie jetzt? … Wie jetzt?! …“
Es interessiert ihn nicht mehr!, informiert uns Serge a parte mit einer verblüfften und vorwurfsvollen Miene, vor allem an Nanas Adresse.
„Es interessiert dich nicht mehr?! … Sprich Französisch! Sprich Französisch, Victor! … Ein Fast-Food-Fusion? Was soll das sein? … Ich verstehe kein Wort, ich weiß nicht, was ein Bao ist, und auch das andere Ding nicht, ich kenne dieses Zeug nicht … Ein persönliches Projekt! (Für uns setzt er ein erstauntes Gesicht auf.) Was soll das sein? Du kleine Rotznase erzählst mir was von einem persönlichen Projekt? … Du kannst dich noch dein ganzes Leben lang in irgendwelchen persönlichen Blödsinn stürzen! … Weil deine Mutter mich unter Druck gesetzt hat! … Ich reiß mir den Arsch auf und finde dir einen Job, der dir alle Türen öffnen wird, und du verkündest seelenruhig, du hast was anderes vor? …“
„Ich habe ihn nicht unter Druck gesetzt“, sagt Nana.
„Pass mal auf, Victor, pass auf, wenn du diesen Sommer nicht ins Walser House gehst, kannst du mich vergessen. Auf mich kannst du nicht mehr zählen, wenn ich dir bei irgendwas helfen soll, egal was, hast du mich verstanden? … Na wunderbar!“
Er schmeißt das Handy auf den Tisch. Nana schnappt es sich. Hallo? Aber Victor hat aufgelegt.
„Es interessiert ihn nicht mehr“, sagt Serge mit flacher, düsterer Stimme. „Bao à la Périgord … Was soll das sein, dieses absurde Fast Food, das wird seinen Vater ruinieren, der schon jetzt keinen Cent hat?“
„Ich hab Dich nicht unter Druck gesetzt.“
„Doch. Ihr habt mich alle unter Druck gesetzt.“
Er leerte sein Glas. Darauf folgte eine lastende Stille.
„Hat mir den Appetit verdorben, dieser Idiot. Ich reiß mir ein Bein für ihn aus, und währenddessen verfolgt er ein persönliches Projekt? Denkst du, der hätte mich mal angerufen, um mir zu sagen, Onkel Serge, ich werde diesen Sommer vielleicht ein persönliches Projekt anschieben?“
„Fast-Food-Fusion ist eine gute Idee“, sagt Joséphine.
„Die weiß auch, was das ist! Wie steh ich denn jetzt da, vor dem Küchenchef?“
„Der hat für seine Antwort zwei Monate gebraucht“, wagt sich Nana vor.
„Na klar! Glaubst du, der Typ hätte nichts anderes zu tun? He? Das ist schon sehr freundlich von ihm, dass er sich da höchstpersönlich drum kümmert.“
„Ich hätte dich nicht darum bitten sollen, ihn nochmal anzusprechen. Es ist meine Schuld.“
„Hör auf, ihn so überzubehüten. Der Bursche ist schlecht erzogen. Kein Sinn für andere. Punktum. Weißt du, wie er reagiert hat? ‘Ich bin nicht mehr verfügbar.’ Völlig entspannt. Kein ,Tut mir leid‘, kein ,Vielen Dank, Onkel, aber …‘ Nein, nichts. Ich bin nicht mehr verfügbar. Ein Minister.“
„Er wird sich entschuldigen.“
„Ich brauche keine ferngesteuerten Entschuldigungen.“
Frustration ist Teil des beruflichen Alltags; die CD findet die Idee nicht gut, der AD kriegt kein ordentliches Layout zustande, der Kontakt hat den Text nicht verkauft, die Kundin zerpflückt den Text. Das sorgt für Frustration.
Zwei vielleicht hilfreiche Ideen:
Erstens über alles eine Nacht schlafen. Das hilft ungemein, sagt die Erfahrung.
Zweitens: Sobald du das Manuskript abgeschlossen hast, vergessen, dass du es geschrieben hast. Und den Text in der Folge wie von deiner Intimfeindin, deinem Intimfeind geschrieben behandeln. Jeder Text hat Schwächen; besser du findest sie als die CD, der AD, der Kontakt oder die Kundin.