Einer höchst individuellen Herausforderung stellt sich der Autor dieses Buches: Er möchte unbedingt wissen, wer vor dreihundert Jahren seine wunderbare Geige gebaut hat. Um es herauszufinden, setzt er nicht nur eigene Talente ein, sondern nutzt das Wissen von Menschen, die sich mit dem Geigenbau auskennen. Bevor er zur Recherche nach Italien reist, befragt er noch einmal den befreundeten Fachmann, von dem er sein Instrument gekauft hat, und erhält folgende Einschätzung:
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„Es ist, wie gesagt, ein sehr interessantes Instrument, sehr gut gemacht, von einem Meister seines Fachs“, begann MR, die Geige in der Hand. „Sie ist entstanden zu einer Zeit, als sich in Norditalien die deutsche Schule von Stainer und der Cremoneser Einfluss von Amati trafen und vermischten. Alles deutet auf diese Periode hin: sowohl die hervorragende Qualität des Holzes als auch die Beschaffenheit des Lacks und die verschiedenen stilistischen Elemente, die sich hier treffen, weil gerade damals eigentlich ein neuer Geigentyp entstand. Sie erinnert im Modell an Stainer, lang gestellt und mit geraden f-Löchern, und sie hat auch sonst einiges, was auf einen deutschen, also auf einen Füssener oder vielleicht Tiroler Ursprung hinweist: diese starken, selbstbewussten und beinahe gekniffenen Ecken etwa, die etwas hochgezogenen Schultern und dann diese Schnecke, so filigran, dass sie fast etwas Gotisches an sich hat.
Aber dann ist da diese elegante, von sicherer Hand gemachte Wölbung, flach, nach dem italienischen Modell, das heißt stilistisch und auch akustisch ein Schritt voraus, denn diese Instrumente projizierten den Klang besser und klangen heller, und deswegen setzten sich diese Modelle durch, allerdings für zwei Generationen erst einmal nur südlich der Alpen. Da muss diese Geige also entstanden sein, wo gerade dieser Schritt stattfand, diese Vermischung der Einflüsse und Stile. Man sieht, wie dieser Meister eine neue stilistische Synthese gefunden hat.
Und dann ist da der Lack. Hervorragend grundiert und transparent, bernsteinfarben und fast ganz original erhalten. Das konnte man damals so nur in Italien und niemals besser als zu dieser Zeit. Gerade im deutschen Raum benutzte man damals oft Pigmente, durch die die Instrumente sehr stark nachgedunkelt sind, aber diese Tiefe und Farbe zeigt nach Italien. Natürlich könnte es sein, dass er damals nur in einigen italienischen Werkstätten einige Zeit verbracht hat und dann zurückgekehrt ist, aber die Reise über die Alpen war damals meistens endgültig.
Wo sie meiner Meinung nach herkommt? Wenn ich das wüsste, dann wüsste ich viel mehr, und du, lieber Freund, hättest sie dir wohl niemals leisten können. Ich kann schon verstehen, warum jemand einen Testore-Zettel hineingeklebt hat. Das mit dem Datum war nicht so geschickt, aber es gibt da deutliche Anklänge an Mailand, genug um einen für einen Moment lang glauben zu lassen, es könnte so sein. Bis man genau hinsieht und findet, dass diese Form so damals von niemandem dort gebaut wurde und dass sie auch einfach qualitativ besser ist als Testore, der ein schlampiger Handwerker war, wenn auch ein sehr guter. Nein, sie ist sehr schön und deutlich aus einem italienischen Umfeld, aber sie könnte überall entstanden sein, und ich kenne kein zweites Instrument, das genau diese Merkmale so vereinigt. Man müsste ein Vergleichsinstrument finden, das sicher zugeschrieben ist, bis dahin bleibt alles offen.
Aber wenn du mich fragst, was das für ein Mensch war, der diese Geige gebaut hat, rein von dem her, was man sehen kann, dann würde ich sagen, es war ein erfahrener Handwerker, sehr sicher in seinen Gesten, bis in die Details. Dies ist keine Anfängergeige, das ist jemand, der genau weiß, was er tut, jemand, der wahrscheinlich mittleren Alters ist und der sein Handwerk im deutschsprachigen Raum um Füssen herum gelernt, dann aber in Italien gearbeitet hat. Ob er dort auch glücklich geworden ist und wen er geheiratet hat, ob er religiös war und wie gut sein Italienisch war, sagt mir die Geige leider nicht. Aber ich würde sagen, so wie sie gebaut ist, wurde sie sozusagen mit Akzent gebaut – in sehr flüssigem Italienisch, aber mit einem kleinen süddeutschen Akzent.“
Der Teufel liegt immer und die Erkenntnis liegt häufig im Detail. Falsch verwendete Wörter lassen die Unkenntnis der Verfasserin, des Verfassers erkennen: Wer sich entschuldigt, hat das Prinzip von Schuld und Entschuldigung nicht verstanden. Besitz ist nicht gleich Eigentum, und frugal ist das Gegenteil von reichhaltig, Verträge werden nicht beglaubigt und Unterschriften werden nicht beurkundet.
Es ist immer wieder erstaunlich, wie unpräzise und häufig falsch journalistische Berichte in breit streuenden Medien über komplexe Sachverhalte oder hochspezialisierte Branchen berichten. Der gute alte Duden in allen seinen vielfältigen Erscheinungsformen gehört nach wie vor zum Handwerkszeug jedes und jeder Schreibenden.
1 Gedanke zu „„Eine italienische Reise“ von Philipp Blom (2018)“
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