„Mitarbeiter des Monats“ von Fil Tägert (2017)

Das Folgende stammt von einem Comiczeichner und Bühnenhumoristen, spielt in den Achtzigerjahren und handelt von einem jungen Westberliner Punker. Er arbeitet bei McDonalds, spielt in einer Band, die nicht aus dem Probenstatus findet, und sucht einen Sinn im Leben zu finden. Im Ausschnitt geht’s aber erst mal um Umgangsformen, die zum Nachdenken anregen können.

Lesedauer gut sieben Minuten

Lotti kam mit ihrem Wischmopp in die Küche gerannt. 
Ihre Brille funkelte, ihr Gesicht war dunkelrot, und die splissigen graugelben Haare standen wild ab. 
„Die lachen über mich“, keuchte sie. „Im Store. Lachen mich aus, ich geh da nicht mehr raus, nie mehr. Die bewerfen mich ja, und dann lachen sie! Wie’n Tier sind die zu mir.“ 
„Echt? Die Kunden?“, sagte ich. „Arschlöcher!“ 
Lottis Aufgabe war es, „Lobby“ zu machen, was bedeutete, draußen im Store die Tische abzuräumen, den Boden zu feudeln und die Klos zu säubern. Lotti hatte eine Hasenscharte, sie war dick und wohnte ebenfalls noch bei ihrer Mutter, obwohl sie schon um die fünfzig sein musste. Normalerweise wirkte sie immer etwas weggetreten, jetzt aber nicht. 
„Das sind böse Menschen, gemeine Menschen sind das, die tun mir weh, die verhöhnen mich, und ich muss vor denen noch auf dem Boden kriechen. Wie’n Wurm muss ich da kriechen! Jesus weint!“ 
„Du musst doch nicht kriechen“, wunderte ich mich. 
„Und ob ich kriechen muss!“, schrie sie. „Und ob! Wie soll ich denn sonst die Tischbeine wischen?! Ich kann mich ja nicht so bücken mit meinen Hüften, wie soll ich da sonst rankommen?! Wie denn sonst?! Ich muss mich auf den Boden legen. Und die bewerfen mich! Die spucken mich an! Jesus weint! Jesus weint!“ 
Der Manager kam aus seinem Zimmerchen. 
„Frau Lotti, Sie haben im Küchenbereich nichts verloren. Begeben Sie sich an Ihren Arbeitsplatz!“ Sie fing an zu zittern. 
„Herr Czewinski, wieso muss sie denn eigentlich die Tischbeine wischen?“, fragte ich. 
„Frau Lotti, wird’s bald?“
Lotti umklammerte ihren Mopp wie eine Lanze und blickte wild um sich. 
„Wenn sie sich dazu auf den Boden legen muss“, gab ich zu bedenken, „das kann doch gar nicht richtig sein. Ist doch für keinen gut. Müssen diese Tischbeine denn überhaupt gewischt werden? Ich mein, ey, wer kuckt schon unter den Tisch, ehrlich gesagt, oder? Tja.“ 
„Herr Nick, kümmern Sie sich um Ihren eigenen Kokolores, Frau Lotti, nehmen Sie Ihren Wischmopp und gehn Sie zurück in die Lobby.“ 
„Neiiiin!“, schrie Lotti. „Ich kann nicht mehr! Ich will nach Hause! Ich will sofort nach Hause! Und ob ich nach Hause will! Und ob!! Jesus weint! Das Jesuskind“ „Sie wurde da wohl auch bespuckt oder so“, sagte ich. 
„Frau Lotti, kommen Sie mit mir nach hinten“, sagte der Manager. Lotti hob ihren Wischmopp an. Einen Moment sah es so aus, als würde sie sich wie ein Samurai mit dem Teil freikämpfen wollen, aber dann ließ sie ihn wieder in den Eimer runter, senkte den Blick und folgte dem Manager in sein Kabuff. 
Nach einer Weile kam der Manager alleine zurück. Ich weiß, bestimmt war es nicht so, aber das sah für uns so aus, als hätte er Lotti aufgegessen. 
„Herr Nick, Sie sind ab jetzt für Lobby eingeteilt“, sagte er und schob Wischmopp und Eimer mit dem Fuß in meine Richtung.
„Na prima, nur noch zu zweit in der Küche, und der Türke hat’s nicht drauf. Aber krieg ich schon hin, keine Sorge, muss ich halt alles alleine machen. Ist ja nicht das erste Mal!“, rief Rainer und warf extrahart knallend eine Runde Patties auf den Grill. 
„Ich töte ihn“, raunte Murat mir zu, als ich rausging.
„Mach nich, Alter“, sagte ich.

Draußen nahm ich meinen Mopp und wischelte eine unfrequentierte Ecke. Dabei hielt ich Ausschau nach den Typen, die Lotti so mies behandelt hatten, aber ich konnte sie nicht entdecken. 
„Ey, räum mal ab!“, rief ein feister Kunde. „Ich will mich hier hinsetzen, aber überall sind Tabletts. Kann ja wohl nicht so schwer sein, die wegzuräumen. Meine Güte!“ 
Ich griff nach den Tabletts, ließ es mir aber nicht nehmen, noch zu bemerken: „Da kann ich nichts für, meine Schicht hat gerade erst begonnen.“
„Na, dann musst du früher anfangen. Eine Sauerei ist das hier!“
„Ich kann ja erst anfangen, wenn ich eingeteilt werde.“ 
„Dann lass dich früher einteilen, mein Gott, so blöd kann man doch gar nicht sein. Halt! Hier liegt noch ein Strohhalm. Das gibt’s doch nicht. Mann, Mann, Mann!“ 
„Entschuldigung“, sprach mich ein Typ im Rollkragenpullover von der Seite an. 
„Ich wollte fragen, haben Sie schon den neuen McBeth?“ 
Sein Freund, der mit ihm am Tisch saß, begann zu lachen. 
„McBeth? Nee“, antwortete ich. „Meinen Sie vielleicht den McRib? Der ist ziemlich neu. Also einigermaßen neu, nicht richtig neu … aber McBeth, tut mir leid, hab ich nichts von gehört.“ 
„Wirklich nicht? Kein McBeth?“ Der Rollkragentyp lächelte, während sein Freund noch heftiger lachte. Diese Typen waren wenigstens gut drauf. Sympathisch. 
„Sorry. Kommt vielleicht noch“, sagte ich, brachte die Tabletts weg und machte mich dann an die Toiletten.

Die Mac-Toiletten waren innen futuristisch neonblau ausgeleuchtet, damit die Junkies dort ihre Venen nicht sehen konnten. Leider konnten die Junkies wohl auch sonst nichts sehen, denn es wurde fröhlich hier- und dorthin gestrieselt. Schockierenderweise war es bei den Frauen sogar fast ekliger als bei den Männern. Alle möglichen blutigen Wattewülste musste man aus den Becken fischen, die Klobrillen waren permanent zugepisst. Bei den Männern wenigstens nur der Boden. Toilettensäubern war nicht der Hit. 
Bei den Männern feudelte ich flink alles durch, ohne wahre Liebe zum Detail. Dann ging ich zu den Frauen. 
Dort erwartete mich das Unvorstellbare. 
Ich roch es, bevor ich es sah, und was ich dann sah, ließ mich zusammenzucken. Es war … es war auf eine sinistre Weise fast schon wieder brillant. Hier hatte sich jemand mal richtig ausgetobt und dabei einen Haufen Gesetze des zivilisierten Zusammenlebens mit großer Geste beiseite gewischt.  
Möglicherweise war es auch eine Art Hilferuf. Kam bei mir aber nicht an. Ich ging rückwärts wieder aus der Toilette raus – steifbeinig, zielstrebig, härtere Linien um die Mundwinkel (so ist wahrscheinlich auch Clint Eastwoods Gesicht entstanden) – und versuchte, das Bild schnell wieder zu vergessen. 
Ich ging nicht wieder auf die Toilette zurück, sondern wischte stattdessen im Store Nichtigkeiten von hier nach dort, stapelte Tabletts und raschelte mit den Strohhalmen. Es war heiß in dieser Nacht. Nach und nach stank es immer mehr in den Store hinein. Leute setzten sich um. Frauen, die aus der Toilette kamen, blickten wirr um sich. Dann ging eine zum Tresen und redete auf die Blondinen dort ein, die daraufhin den Manager holten. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich, wie die Kundin ihm nun eine lange, offenbar von Höhe- und Tiefpunkten durchzogene Leidensgeschichte erzählte. Er hörte mit ernstem Gesicht zu. Dann antwortete er der Frau. Und dann kam er zu mir. 
Ich machte weiter meine Sachen, die ich machte, bis er neben mir stand. 
„Herr Nick, auf der Damentoilette – “ 
„Ich weiß. Aber ich kann da nichts machen.“ 
„Herr Nick, Sie sind für Lobby eingeteilt. Holen Sie sich Hilfe, wenn Sie wollen, aber führen Sie Ihre Arbeit aus.“ 
„Tut mir leid. Ich kann nicht.“ 
„Herr Nick, einer muss es tun.“ 
„Aber nicht ich.“ 
„Doch, Herr Nick, es ist Ihre Aufgabe. Holen Sie sich meinetwegen Unterstützung, fragen Sie einen Kollegen, aber diese Arbeit muss ausgeführt werden.“

Eine Unternehmenskultur hat jede Firma. Damit ist noch nicht gesagt, ob sie gut oder schlecht sei. Als Faustregel kann man annehmen: Sobald die Unternehmenskultur schriftlich formuliert ist, gibt’s ein Problem damit.
Respekt den Kolleginnen und Kollegen gegenüber ist auf jeden Fall eine gute Grundhaltung. Mit der zunehmenden Differenzierung der Berufsbilder in einer Agentur oder Marketingabteilung hast Du, ehrlicherweise, keine Ahnung, was die Kollegin zwei Pulte weiter links genau macht Performance Marketing? TV Buying? Einen Wireframe konstruieren? Ist sie Scrum Master?
Was auch immer, du verstehst wenig davon. Deshalb behandle ihn oder sie mit demselben Respekt, den du dir für deine anspruchsvolle Arbeit von den anderen wünschst.

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